Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

Rossella Pugliese
nicht an Hand der klassischen Methoden der Sprachkontaktforschung geschehen 16 , sondern
an Hand einer Analyse geschriebener Texte, und zwar an Hand der Analyse des literarischen
Sprachkorpus’ des aus Carfi zzi stammenden Schriftstellers Carmine Abate. Durch ihn nämlich
wurde der kleinen Dorfgemeinschaft Carfi zzi im Herzen Kalabriens in letzter Zeit nationaler
Ruhm zu Teil.
3.2 Das Germanese aus Carfi zzi im Spiegel von Carmine Abates Literatur
Karl Dedecius hat einmal gesagt:
“Die Literatur eines Volkes ist wie ein Fenster aus dem dieses Volk den Fremden ansieht,
durch das der Fremde in den Lebensbereich dieses Volkes Einblick gewinnen kann” 17
In diesem Sinne – um Einblick in den Lebensbereich dieses Volkes zu gewinnen – soll die
Übernahme und Integration besonderer Lexeme und syntaktischer Strukturen der deutschen
Sprache im literarischen Textkorpus des Schriftstellers Abate beschrieben werden. Denn, wenn
gilt, dass Literatur „die Sprache immer und immer wieder auf den Stand der Realität“ 18 bringt,
dann ist es angesichts eines so bekannten demografi schen und sozioökonomischen Phänomens
wie der italienischen Arbeitsmigration in die westlichen Industrieländer, auch Aufgabe der
Literatur, diese sprachlich zu beschreiben: Abate tut dies, indem er der Sprache in seinen
literarischen Werken große Wichtigkeit beimisst. Literatur wird für Abate zum sprachlichen
Zugriff auf die Wirklichkeit seines Heimatortes, und kann deshalb als nahezu paradigmatisch für
die empirische Sprachrealität Carfi zzis gelten.
Es geht Abate um eine neue Form von Literatur, um eine neue Form von Wahrnehmung,
deren Medium vor allem eine multilinguale Sprache ist. Abate sprengt somit das Korsett der
Monolingualität, es geht ihm um ein gleichberechtigtes Zur-Sprache-Kommen aller Sprachen,
denen er im Lauf seines Lebens begegnet ist 19 . Seine sprachliche Mischung entspricht einem
starken multi- bzw. interkulturellem Bewusstsein, einem Bewusstsein um die notwendige,
unumgängliche Mischung unterschiedlicher Sprachen und Kulturen, in eine interkulturelle
Sprache. Abates Literatur fungiert daher als interkulturelles (Vgl. Chiellino 2001: 32) und
dialogisches Kommunikationsmodell, das sich als solches in der Pluralität der Sprachen
konstituiert.
4. Transferphänomene aus dem Deutschen im Germanese aus Carfi zzi
Aus den Formen des Sprachgebrauchs, die auf die Mehrsprachigkeit des Autors hinweisen,
ergeben sich folgende Muster:
• Verwendung der italienischen Standardsprache als literarische Basis
• Verwendung der Muttersprache oder der „lingua del cuore“ 20
16 wie z.B. einer empirischen Erhebung von Sprachdaten dieser Sprachgemeinschaft aus sprach-geographischer,
ethnographischer, makrosoziologischer, soziolinguistischer und psycholinguistischer Perspektive. (Vgl. Riehl, Claudia
Maria (2004): Sprachkontaktforschung. Eine Einführung. Tübingen: Narr, 34-51).
17 Dedecius, Karl (1974): Überall ist Polen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 81.
18 Frisch, Max (1967): Öffentlichkeit als Partner. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 88.
19 Abate (http://www.fazieditore.it/autori/abate/speciali2.html, Stand: 25.09.06) hat das so formuliert: “Fino a
sei anni sapevo parlare solo l’arbëresh. A scuola, come quasi tutti gli arbëresh, ho poi subìto una scolarizzazione
esclusivamente in lingua e cultura italiana, cioè straniera, mentre a casa e con gli amici, nel vicinato, per le strade
del paese, continuavo a parlare quella che noi chiamiamo gjuha e zemëres, la lingua del cuore”. L’altra, la lingua
che parlavano i maestri, prima, i professori poi, e infi ne i datori di lavoro, era gjuha e bukes, la lingua del pane:
importante, certo, ma non radicata dentro come la lingua arbëresh. Tant’è che la scelta, all’inizio forzata e poi sempre
più consapevole, di scrivere in italiano l’ho vissuta come una sorta di tradimento nei confronti dell’arbëresh”.
20 So Carmine Abate in einem Interview mit Franca Eller: Una lingua multiculturale. In: L’Adige. 23.11.2001, 13.
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