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Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

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Konrad Ehlich<br />

Leider s<strong>in</strong>d diese historischen und doch sehr gegenwärtigen Strukturen <strong>in</strong> das europäische<br />

Bewusstse<strong>in</strong> nur wenig e<strong>in</strong>getreten. Stattdessen fi nden wir geradezu e<strong>in</strong>e Art Verzicht von<br />

Wahrnehmung der gesellschaftlichen Experimentalsituation, <strong>in</strong> der sich dieser Kont<strong>in</strong>ent seit<br />

mehreren hundert Jahren befi ndet. Das Denken über Sprache selbst ist geprägt durch die<br />

selbstverständliche konsolidierte E<strong>in</strong>sprachigkeitskonzeption. Sie bestimmt unser Nachdenken<br />

über Sprache bis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Sprachkonzepte, die wir unterhalten. Der Strukturalismus, der<br />

von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> sich homogenen sprachlichen Welt ausgeht, ist selbst e<strong>in</strong>e Konsequenz dieses<br />

Sprachkonzeptes. So geht beispielsweise <strong>in</strong> der Art, wie wir „das Griechische“ konzeptualisieren,<br />

die Vielfalt der unterschiedlichen - wie es dann heißt - „Dialekte“ dieses Griechischen ebenso<br />

wie die Herausbildung der Ko<strong>in</strong>e als der eigentlichen Verkehrssprache ab der alexandr<strong>in</strong>ischen<br />

Zeit <strong>in</strong> dem Konstrukt e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Sprache, eben „dem Griechischen“, unter. Es hat e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong> sich sehr klare Struktur, die leicht lehrbar ist – die sich freilich, sobald man sich <strong>in</strong> die Daten<br />

und Quellen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>begibt, <strong>in</strong> vielfältiger Weise differenzierend aufl öst.<br />

Die Verb<strong>in</strong>dung von Sprache und dem Projekt Nation ist tiefgehend, ist mehr als zufällig,<br />

ist mehr als kont<strong>in</strong>gent, und sie ist denkbestimmend auch für unser Nachdenken <strong>in</strong> der<br />

Gesellschaft und <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>guistik über das, was Sprache ist. Sie ist fest verankert im kognitiven<br />

Präsuppositionensystem, im System der stillschweigenden Voraussetzungen, über die wir gar<br />

nicht mehr nachdenken, die wir selbstredend und selbstverständlich <strong>in</strong> Anspruch nehmen.<br />

Diese politische und sprachliche Situation e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> sich etwas unklaren Kont<strong>in</strong>entes mit<br />

ihren Auswirkungen weit über dessen eigene Grenzen, wo immer sie denn liegen, h<strong>in</strong>aus, diese<br />

Bestimmung unseres Denkens durch e<strong>in</strong> Sprachkonzept, das se<strong>in</strong>erseits von daher determ<strong>in</strong>iert<br />

ist, steht nun <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em deutlichen Widerspruch zu dem, was wir über die Sprachkapazität des<br />

Menschen wissen.<br />

B<br />

4. Sprachkapazität<br />

Die sprachliche Kapazität ermöglicht <strong>Mehrsprachigkeit</strong> (vgl. Francesch<strong>in</strong>i <strong>in</strong> diesem Band,<br />

Drumbl 2002). Dies wurde noch vor 70, 80 Jahren defi nitiv verne<strong>in</strong>t. <strong>Mehrsprachigkeit</strong> erschien<br />

als die Möglichkeit allenfalls e<strong>in</strong>iger weniger Begabter. Darüber h<strong>in</strong>aus galt sie im wesentlichen<br />

als e<strong>in</strong>e Gefahr, die den Menschen sozusagen se<strong>in</strong>en Mutterboden verlieren lässt, wenn er/sie<br />

sich auf das Gebiet anderer, fremder Sprachen begibt. Längst ist aber seither bekannt, dass die<br />

<strong>Mehrsprachigkeit</strong> e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches ethnographisches Faktum ist, sobald man nur die Grenzen des<br />

europäischen Kont<strong>in</strong>ents überschreitet.<br />

Die psychologischen Forschungen <strong>in</strong> Bezug auf diese <strong>Mehrsprachigkeit</strong> stecken allerd<strong>in</strong>gs<br />

bisher weith<strong>in</strong> – gerade e<strong>in</strong>mal und noch immer – allenfalls <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>derschuhen. Die Plastizität<br />

der neuronalen Strukturen ist im e<strong>in</strong>zelnen bisher noch nicht h<strong>in</strong>reichend erforscht, und<br />

diejenigen, die von der Seite der Neurologie ernsthaft arbeiten, haben uns allenfalls kle<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>zelsektoren e<strong>in</strong>er großen terra <strong>in</strong>cognita bisher zugänglich machen können, z.B. <strong>in</strong>dem<br />

man neues Licht auf den frühen gleichzeitigen Erwerb zweier Sprachen geworfen hat (so im<br />

Hamburger Sonderforschungsbereich <strong>Mehrsprachigkeit</strong> (Meisel 1994, 2004), oder <strong>in</strong>dem man<br />

versucht, gegenüber den selbstverständlichen E<strong>in</strong>zelsprachkonzeptionen e<strong>in</strong>zelne Fakten dieser<br />

20<br />

Multil<strong>in</strong>gualism.<strong>in</strong>db 20 4-12-2006 12:24:54

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