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Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

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Oskar Putzer<br />

• Und schließlich wäre die Frage zu stellen, wie sich die heutige Sprachrealität (<strong>in</strong> Bezug auf<br />

E<strong>in</strong>- und <strong>Mehrsprachigkeit</strong> und Sprachkontakt) darstellen lässt. Da es sich hier um Bed<strong>in</strong>gungen<br />

handelt, die sich ständig wandeln und vor allem sich niemals homogen präsentieren, sondern<br />

von Situation zu Situation, von Ort zu Ort, von Sprecher zu Sprecher ganz unterschiedlich<br />

se<strong>in</strong> können, kann die Frage im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er statischen Zustandsbeschreibung überhaupt<br />

nicht seriös beantwortet werden.<br />

Man kann also nur e<strong>in</strong>e Annäherung, e<strong>in</strong>e approximative Skizze versuchen, wobei es mir<br />

e<strong>in</strong> Anliegen ist, jene Bed<strong>in</strong>gungen und Faktoren bzw. Ursachen zu erkennen und offen zu<br />

legen, die die Entwicklungen und Veränderungen der sprachlichen Funktionen und Rollen im<br />

gesellschaftlichen Leben prägen. Da ich der Me<strong>in</strong>ung b<strong>in</strong>, dass gegenwärtige Zustände immer<br />

auch das Ergebnis historischer Entwicklung s<strong>in</strong>d, will ich mit jenen historischen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

beg<strong>in</strong>nen, die bis <strong>in</strong> die Gegenwart das sprachpolitische Verhalten der europäischen Staaten,<br />

aber vor allem auch das Sprachbewusstse<strong>in</strong> der europäischen Bürger geprägt haben.<br />

2. Die Idee des Nationalstaates. Forderungen und konstituierende Merkmale<br />

des Nationalstaates<br />

Seit zwei Jahrhunderten ist die politische Ordnung <strong>Europa</strong>s geprägt durch so genannte<br />

Nationalstaaten. Diese Entwicklung hat damit begonnen, dass zu Beg<strong>in</strong>n des 19. Jahrhunderts<br />

das Konzept der Nation als übergeordnetes geme<strong>in</strong>schaftsbildendes Kriterium die bis dah<strong>in</strong><br />

vorherrschenden Kriterien wie regierende Dynastie, Konfession, Territorium, Stand... als<br />

Bezugspunkte für die Legitimation und die Selbstdefi nition (Identität) e<strong>in</strong>er politischen E<strong>in</strong>heit<br />

(Staat) abgelöst hat. 1 Die politischen, ideologischen und kulturellen Impulse für diesen Wandel<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>erseits von der Französischen Revolution, andererseits von der deutschen Romantik<br />

ausgegangen. 2 Defi niert wird die Nation im Wesentlichen als e<strong>in</strong>e größere Gruppe von Menschen,<br />

die auf Grund kultureller und ethnischer Geme<strong>in</strong>samkeiten „zusammen gehören“. „Nation stellt<br />

e<strong>in</strong> Ordnungs konzept dar, das dem Wunsch nach neuen Geme<strong>in</strong>schaftsformen antwortet, das<br />

gesellschaftliche Kohäsionskräfte mobilisiert und Identität stiftet.“ (Stukenbrock 2005: 34).<br />

E<strong>in</strong>e Reihe zivilisatorischer Merkmale wie Religion, Sitten und Gebräuche, e<strong>in</strong>e (verme<strong>in</strong>tliche,<br />

weitgehend erfundene) geme<strong>in</strong>same Geschichte bis h<strong>in</strong> zu Geschichts mythen 3 können dabei als<br />

dist<strong>in</strong>ktive Merkmale e<strong>in</strong>e mehr oder weniger wichtige Rolle spielen. Das prom<strong>in</strong>enteste und auf<br />

jeden Fall unverzichtbare Merkmal e<strong>in</strong>er Nation ist jedoch die Sprache: Alle Menschen, die e<strong>in</strong>er<br />

Nation angehören, sprechen dieselbe Sprache. Es gibt Konzepte und Defi nitionen der Nation, die<br />

auch e<strong>in</strong>e Umkehrung dieses Postulats zulassen: Alle Menschen, die dieselbe Sprache sprechen,<br />

gehören e<strong>in</strong>er Nation an. Die absolute Dom<strong>in</strong>anz jeweils e<strong>in</strong>er Staatssprache/Nationalsprache<br />

und die durch die nationale Zugehörigkeit bed<strong>in</strong>gte E<strong>in</strong>sprachigkeit des e<strong>in</strong>zelnen Staatsbürgers<br />

1 „Ältere Gruppenb<strong>in</strong>dungen müssen aufgegeben oder h<strong>in</strong>tangestellt werden, damit die Nation <strong>in</strong> der Loyalitätsskala<br />

den von ihr beanspruchten obersten Platz e<strong>in</strong>nehmen kann.“ (Stukenbrock 2005: 34)<br />

2 So wird es <strong>in</strong> der wissenschaftlichen Literatur generell dargestellt; es ist aber wohl anzunehmen, dass gleichzeitig<br />

auch <strong>in</strong> anderen politisch-kulturellen Zentren ähnliche Gedanken entwickelt worden s<strong>in</strong>d.<br />

3 „In der Erzählung e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Vergangenheit, <strong>in</strong> dem narrativen Zusammenschmelzen der Vergangen heit<br />

zu e<strong>in</strong>er nationalen Geschichte werden solche Traditionen erfunden, konstruiert, betont, die die un erwünschten<br />

Heterogenitäten verschw<strong>in</strong>den lassen und den E<strong>in</strong>druck jenes Maßes an Homogenität erzeugen, das politisch<br />

opportun ist.“ (Stukenbrock 2005: 34) „Die Geschichte ist das Rohmaterial für nationalistische, ethnische oder<br />

fundamentalistische Ideologien – wie Mohn der Rohstoff für Hero<strong>in</strong>abhängigkeit ist... Wenn die Vergangenheit sich<br />

nicht fügt, kann sie auch neu erfunden werden... Die Vergangenheit verleiht den Heiligensche<strong>in</strong> der Legitimität.“ (Eric<br />

Hobsbawm <strong>in</strong>: Die Zeit 37, 1994, 49)<br />

50<br />

Multil<strong>in</strong>gualism.<strong>in</strong>db 50 4-12-2006 12:25:11

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