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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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wichtiger war, <strong>das</strong> eigene Leben zu retten, auch wenn dies bedeutete, <strong>das</strong>s man<br />

<strong>das</strong> geliebte Europa hinter sich lassen musste. Nach einer kurzen Internierung im<br />

Camp de la Braconne bemühte sich Feder, ein Visum für die USA für sich <strong>und</strong> seine<br />

Frau zu bekommen. Da die American Guild for Cultural Freedom aus verschiedenen<br />

Gründen nichts für ihn tun konnte, trat Feder mit Varian Fry in Marseille, der von<br />

dem Emergency Rescue Committee beauftragt worden war, europäischen Intellektuellen<br />

bei ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten zu helfen, in Verbindung. Aber<br />

auch Fry standen aufgr<strong>und</strong> der von den USA festgelegten Einwanderungsquote<br />

nur begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung, so <strong>das</strong>s er Feder nicht weiterhelfen<br />

konnte. Er empfahl ihm jedoch, den brasilianischen Botschafter Luís Martins de<br />

Souza Dantas aufzusuchen.<br />

Zwar besaß Brasilien äußerst restriktive Immigrationsbestimmungen, vor allem<br />

auch hinsichtlich jüdischer <strong>Flüchtlinge</strong>, die sogar so weit führten, <strong>das</strong>s die Vergabe<br />

von Visa an Personen „semitischer Herkunft“ ab 1937 nur unter sehr eingeschränkten<br />

Bedingungen erlaubt war <strong>und</strong> ab 1941 vollständig ausgesetzt wurde.<br />

Doch im Gegensatz zu vielen seiner diplomatischen Kollegen ließ Souza Dantas<br />

die menschliche Tragödie, die sich in jenen Monaten täglich vor den Auslandsvertretungen<br />

der außereuropäischen Staaten abspielte, nicht unberührt. Als eine<br />

Art „Don Quixote in der Finsternis“ setzte er sich über die inhumane Einwanderungspolitik<br />

seines Landes hinweg <strong>und</strong> stellte h<strong>und</strong>erten <strong>Flüchtlinge</strong>n ein<br />

Einreisevisum für Brasilien aus. Wie im Fall von Ernst <strong>und</strong> Erna Feder scheute er<br />

sich nicht, dabei auch auf Diplomatenvisa zurückzugreifen (KOIFMAN 2002, S.<br />

426/427). Außerdem gaben ihm Botschafter Souza Dantas <strong>und</strong> seine Botschaftsangestellten<br />

Medeiros de Paço <strong>und</strong> Antônio Dias Tavares Bastos mehrere an deren<br />

Verwandte, Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> an bekannte Journalisten gerichtete Referenzschreiben<br />

<strong>und</strong> Empfehlungsbriefe mit auf den Weg, die ihm den Neuanfang im<br />

fremden Land erleichtern sollten. So ausgerüstet kamen die Feders am 17. Juli<br />

1941 mit der Cabo de Hornos in Rio de Janeiro an. Noch am selben Tag begann<br />

Feder sein „Brasilianisches Tagebuch“, wie er es selbst nannte.<br />

„Heute sprach ich mit…“ – Der Tagebuchschreiber Ernst Feder<br />

Ernst Feder war ein überzeugter, gewissenhafter <strong>und</strong> regelmäßiger Tagebuchschreiber.<br />

Bis ins Jahr 1913 gehen die Teile seiner Tagebücher zurück, die erhalten<br />

geblieben sind. In einem abendlichen Ritual diktierte er seiner Frau die Erlebnisse,<br />

vor allem seine Begegnungen <strong>und</strong> Gespräche. 4 War Erna Feder krankheitsbedingt<br />

verhindert, führte er die Eintragungen handschriftlich alleine weiter. Wie sehr <strong>das</strong><br />

allabendliche Diktat den Eheleuten auch als Gedankenaustausch über den vergangenen<br />

Tag diente, zeigte sich in der Freude <strong>und</strong> Erleichterung, die Feder<br />

äußerte, wenn Erna nach einer längeren Pause ihre Rolle als Sekretärin wieder<br />

aufnahm. Der Stellenwert, den die Tagebücher für Feder besaßen, lässt sich an<br />

seiner Sorge ermessen, die er äußerte, als er sie in Frankreich zurücklassen musste,<br />

was fast dem Verlust eines Teils des eigenen Lebens gleichkam: „Alle früheren<br />

4. Nicht zufällig wählten Cécile Lowenthal-Hensel <strong>und</strong> Arnold Paucker bei der Herausgabe von<br />

Ausschnitten aus Feders Tagebüchern der Jahre 1926-1932 den Titel: Heute sprach ich mit…<br />

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