Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

von dem Brasilianer und Anhänger Comtes, Paulo E. de Berredo Carneiro (1901-
1982), vor dem Abriss gerettet wurde (cf. Carneiros Werk Vers un nouvel humanisme).
Auguste Comte, dem eine feste Stelle im französischen Bildungssystem verwehrt
geblieben war, beeinflusste jedoch mit seinen Ideen einige junge Brasilianer der
nächsten Generation (auch Argentinier, Nordamerikaner, Engländer und Deutsche)
derart, dass sie sich mit ihren Wünschen nach einer neuen Gesellschaft auf
ihn beriefen (cf. LEPENIES 2006).
Benjamin Constant Botelho de Magalhães, Miguel Lemos und vor allem Teixeira
Mendes wollten neue Institutionen, die Trennung von Kirche und Staat, zivile
Ehe, staatliche, religionsunabhängige Friedhöfe, die Einbeziehung der unterprivilegierten
Klasse, einen ideologiefreien Sozialstaat für die neue Nation der Brasilianer,
alles geordnet in einer „republikanischen Diktatur“ (so wie sie tatsächlich
nach französischem Beispiel in Brasilien eingeführt wurde; heute noch sei der
französische Präsident ein „Wahlmonarch mit absoluter Entscheidung“, schrieb Michael
Stürmer, Die Welt, 5.5.2007).
Für Auguste Comte waren die Fachgebiete, die er auf der Polytechnischen
Schule in Paris studiert hatte, die Astronomie, gefolgt von der Biologie, danach
Chemie und Physik, die Basis der Wissenschaft von der Erforschung der unabänderlichen
Naturgesetze, zu denen an erster Stelle die Evolution gehörte. Was ihn
nicht hinderte, gegen Ende seines Lebens – ausgelöst durch seine unerfüllte Liebe
zu Clothilde de Vaux (cf. LEPENIES 2006, S. 27-35) – eine neue Religion, die „Positivistische
Religion der Menschheit“ mit Priestern, einem neuen Kalender, einem
Katechismus und dem Dienst an der „Menschheit“ zu gründen. Er gilt auch als
Schöpfer des Wortes Soziologie und Altruismus. Die altruistische, selbstlose Haltung
schloss einen Verzicht der Positivisten auf eine Stelle als Staatsdiener ein, was
nicht funktionieren konnte, sobald sich ihre Ideologie durchgesetzt hatte. Benjamin
Constant nahm das Amt des Kriegsministers an, wurde jedoch wenig später
als Postminister kalt gestellt (CARVALHO 1990, S. 40, 114).
Bereits 1881 war von den Anhängern dieser neuen Religion der erste positivistische
Tempel, ähnlich einem griechischen Tempel, in Rio de Janeiro erbaut worden
– mit einer Ausrichtung des Hauptschiffes nach Paris, dem Zentrum der
zivilisierten neuen Welt („o centro do Ocidente“), wie die Positivisten (meist Nachkommen
von Portugiesen aus der neuen brasilianischen ‚Mittelschicht‘!) predigten
(Mourão 1998, S. 108; cf. Tyr 2006 3 ).
Mit diesen Ideen von einer neuen Gesellschaft und einer neuen, von der Bibel,
dem Koran oder ähnlichen Ursprüngen unabhängigen „Religion der Menschheit“
(„Religion de l´Humanité“) hat Auguste Comte geholfen, den Umsturz, eine
Revolution in Brasilien, vorzubereiten. In der Verfassung der ersten brasilianischen
Republik, der so genannten „Alten Republik“, wurden tatsächlich zum größten Teil
positivistische Forderungen, vor allem die nach der Trennung von Kirche und
Staat, durchgesetzt (SANTOS et al. 2002, S. 227).
Diese Revolution, die Abschaffung der Monarchie in Brasilien, verlief unblutig,
3. Der Film von Alain Tyr: Le drapeau brésilien et Auguste Comte zeigt den Autor auf den Spuren
von Auguste Comte in Brasilien. Exzellenter Dokumentarfilm zum 150. Todestag von Auguste
Comte (5.7.2007).
293