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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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stets im Raum. Wie bei solchen Veranstaltungen üblich, so redet man sich auch im<br />

Chat gegenseitig mit parente (Verwandter) an <strong>und</strong> verwendet fast ausschließlich<br />

indigene Namen (die man im dörflichen Alltag nur selten hört).<br />

Die Teilnehmer von Índios Online betreten im Chat also nur technisch gesehen<br />

Neuland, jedoch wird <strong>das</strong> neue Medium in seiner Verwendung lediglich<br />

zu einer weiteren <strong>und</strong> gerne wahrgenommenen Möglichkeit, sich in einem<br />

bereits bekannten sozialen Raum zu bewegen – eine Art überregionales Dorf,<br />

<strong>das</strong> durch die computerbasierte Vernetzung nur eine weitere Dimension <strong>und</strong><br />

größere Präsenz gewinnt.<br />

Eine bewusste Inszenierung von Indianität findet (sinnvollerweise) erst statt,<br />

wenn ein interessierter Außenseiter den Chatroom betritt, was nicht allzu oft geschieht.<br />

Dann wird, wie bei anderen Begegnungen mit der brasilianischen Öffentlichkeit<br />

auch, ein Verhalten geboten, welches Harald Prins treffend als Primitivismus<br />

bezeichnet (vgl. PRINS 2002): Es wird auf <strong>das</strong> stereotypisierte westliche<br />

Indianerbild zurückgegriffen, <strong>das</strong> sich bis zu Rousseaus Konstrukt des Edlen Wilden<br />

zurückverfolgen lässt <strong>und</strong> durch dessen Brille die Indianer sich inzwischen<br />

auch gern selbst betrachten. So wird versucht, für alle Beteiligten die Grenzen<br />

zwischen Weißen <strong>und</strong> Indianern besonders deutlich zu ziehen. Dementsprechend<br />

kommen auf wenig differenzierte Fragen wie „Wer kann mich über die indigene<br />

Religion informieren?“ wenig differenzierte Antworten wie „Wir haben die Religion<br />

unserer Vorfahren. Wir lieben die Mutter Natur.“<br />

Diese primitivistische Strategie führt oft zum Erfolg (in dem Sinne, <strong>das</strong>s alle<br />

Teilnehmer mit dem Resultat der Interaktion zufrieden sind): Nicht-Indigene<br />

verpacken den Anderen in romantischen Kategorien, die ihnen behaglich sind.<br />

Indianer hingegen können sowohl ihren Ruf als auch ihr Selbstbewusstsein verbessern,<br />

indem sie die Stereotypen, die ihnen aufgenötigt worden sind, verwenden,<br />

um auf Seiten der Weißen die Solidarität <strong>und</strong> Handlungsbereitschaft für die<br />

indigene Sache zu vergrößern (s. PRINS 2002).<br />

Die Möglichkeit der direkten Kommunikation, die <strong>das</strong> Online-Chatting bietet<br />

– im Gegensatz zu einseitigeren visuellen oder audiovisuellen Medien, wo<br />

solche Romantizismen wegen fehlender sofortiger Überprüfbarkeit leichter aufrechtzuerhalten<br />

sind – führt jedoch oftmals zu Irritationen bei romantisierenden<br />

Nicht-Indianern.<br />

Bei einer Gelegenheit beobachtete ich eine Konversation zwischen einer Schülerin<br />

<strong>und</strong> einer Indianerin. Die Schülerin recherchierte für ein Projekt über die<br />

Bedeutung des Wassers „in der indigenen Kultur“ – <strong>und</strong> war sichtlich enttäuscht,<br />

als die junge Indianerin am anderen Ende antwortete, <strong>das</strong>s sie es zum Kochen<br />

<strong>und</strong> Waschen verwenden würden. Auch weiteres Nachfragen brachte nicht die<br />

spirituelle oder mythologische oder zumindest irgendwie andere Sicht der Dinge,<br />

die die Interviewerin sich offenbar erhofft hatte.<br />

Solche irritierenden Erfahrungen sind im Sinne einer echten Verständigung<br />

zwischen den Kulturen gewiss nichts Schlechtes: So haben die Fragenden Gelegenheit<br />

zu bemerken, <strong>das</strong>s erstens Indianer nicht alle gleich <strong>und</strong> zweitens doch<br />

eher ganz normale Leute sind, <strong>und</strong> nicht die spirituellen, naturnahen ‚ganz Anderen‘,<br />

die sie sich vorgestellt hatten – ein Klischee, <strong>das</strong> unter anderem so langlebig<br />

ist, weil es nicht an alltäglichen Begegnungen mit den im Leben der meisten wei-<br />

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