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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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to the tenets of German reform and its concern for dignified services, sermons<br />

in the vernacular and the termination of rules that tended to make Jews appear<br />

different” (SOBEL 1945, S. 121). Solche Kommentare träfen auch für die USA<br />

<strong>und</strong> Kanada zu. Für die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts lässt sich<br />

sagen, <strong>das</strong>s die interne Hegemonie im Leben dieser Gemeinschaften in allen<br />

drei Ländern durch eine deutsch-jüdische Basis bestimmt wurde. Für Brasilien<br />

dagegen sind solche Kennzeichnungen nicht zutreffend, denn dort waren<br />

es die osteuropäischen Juden, die nach der Russischen Revolution kamen,<br />

welche die jüdische Kultur in formal-politischer Hinsicht beherrschten.<br />

Die fast zehntausend deutsch-jüdischen <strong>Flüchtlinge</strong> (siehe Tabelle 1), die<br />

zwischen 1933 <strong>und</strong> 1941 nach Brasilien kamen, hatten vieles mit den Eliten<br />

der Bevölkerung dieses Landes gemeinsam, doch teilten sie andererseits in<br />

nur minimalem Umfang Erfahrungen mit den schon in Brasilien lebenden<br />

Juden. So fühlten sie sich in dieser Gruppe nicht von innen her willkommen,<br />

sondern wurden ironischerweise innerhalb der jüdischen Gemeinschaft erneut<br />

zu Outsidern. Dies <strong>und</strong> <strong>das</strong> Bild Brasiliens in Deutschland als <strong>das</strong> eines<br />

‚rückständigen‘ Landes hilft zu erklären, warum die deutschen Juden bis in<br />

die späten 1930er Jahre aktiv demotiviert wurden, nach Brasilien einzuwandern,<br />

also noch lange nachdem die Emigration der vor dem Nazi-Regime<br />

Fliehenden eingesetzt hatte.<br />

Als deutsche Juden in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre dann begannen,<br />

nach Brasilien einzuwandern, integrierten sie sich rasch in die Kultur der<br />

dortigen Ober- <strong>und</strong> oberen Mittelschicht, in deren Sicht sich Brasiliens wirtschaftliche<br />

<strong>und</strong> soziale Probleme als <strong>das</strong> ‚Verschulden‘ der unteren Klassen<br />

darstellten. Dieser Diskurs verband sich leicht mit deutschen Vorurteilen über<br />

Brasilien <strong>und</strong> lieferte den <strong>Flüchtlinge</strong>n eine kulturelle Einstellung, welche diejenige<br />

der nationalen Elite widerspiegelte, in die sie sich bald eingliedern sollten.<br />

Auch andere Faktoren halfen den <strong>Flüchtlinge</strong>n, leicht in die oberen Klassen<br />

hineinzuschlüpfen. Anders als in den USA, wo die langsame Akkumulation<br />

von Kapital bei den jüdischen Immigranten zu deren Eintritt in die expandierende<br />

Mittelschicht führte, bedeutete <strong>das</strong> Fehlen gerade dieser Mittelschicht<br />

in Brasilien, <strong>das</strong>s jegliche Kapitalakkumulation viele <strong>Flüchtlinge</strong> sofort in die<br />

Schicht der oberen 25-30% der Bevölkerung springen ließ, die nicht mittellos<br />

war. Und schließlich erachteten viele in der brasilianischen Elite die Zentraleuropäer<br />

als die wünschenswertesten unter allen Einwanderern. Stadtkulturell<br />

geprägte <strong>und</strong> sozial relativ assimilierte deutsche Juden mit einem Klassenhintergr<strong>und</strong><br />

qualifizierter <strong>und</strong> leitender Berufe gelangten so, zumindest theoretisch,<br />

mit einem Sprung in die oberen Reihen der brasilianischen Gesellschaft,<br />

selbst wenn sie mittellos eintrafen. Da die deutschen Juden ja nur fünfzig<br />

Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei nach Brasilien kamen, wurde ihnen<br />

(wie zuvor den jüdischen Einwanderern aus Osteuropa) schon allein aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer Hautfarbe ein sozialer Status zuteil. Industrialisierung <strong>und</strong> Urbanisierung<br />

in Verbindung mit dem Schema ‚rassischer‘ Unterscheidung wirkten ja<br />

dahingehend, Menschen dunkler Hautfarbe in den untersten Rängen der ökonomischen<br />

<strong>und</strong> sozialen Pyramide zu halten <strong>und</strong> half den deutschen Juden,<br />

außerordentlich schnell auf der gesellschaftlichen Leiter emporzukommen.<br />

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