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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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maßen ihr eigenes war, oft einen der Leibeigenschaft ähnlichen Status innehatten<br />

<strong>und</strong> der Willkür der fazendeiros <strong>und</strong> ihrer Privatarmeen ausgesetzt waren. Mit<br />

dem Segen des SPI wurden Indianer zur „Zähmung“ eingefangen <strong>und</strong> unter unmenschlichen<br />

Bedingungen zwangszivilisiert, um in den landwirtschaftlichen Betrieben,<br />

zu denen ihr Land nun faktisch gehörte, unentgeltliche Arbeit zu leisten.<br />

Westliche Kleidung, portugiesische Sprache <strong>und</strong> gesalzenes Essen wurden vor<br />

diesem Hintergr<strong>und</strong> zu Pflichten, denen die Indianer sich nur unter Gefahr für<br />

Leib <strong>und</strong> Leben entziehen konnten (vgl. FERREIRA 2002, S. 33).<br />

Zwar wurde der SPI 1967 durch die FUNAI (F<strong>und</strong>ação Nacional do Índio) ersetzt,<br />

nicht zuletzt wegen nationaler <strong>und</strong> internationaler Empörung über ebendiese<br />

Menschenrechtsverletzungen, aber auch <strong>das</strong> neue Regierungsorgan, <strong>das</strong> nun<br />

für die Indigenen zuständig war, zielte zunächst auf die Auflösung indianischer<br />

Kulturen in der brasilianischen Nationalgesellschaft ab. In den siebziger <strong>und</strong><br />

achtziger Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts verschärfte sich die Assimiliationspolitik<br />

der FUNAI noch – jedoch zeigte sich bald, <strong>das</strong>s alle Anstrengungen zur „humanen“<br />

Auflösung indigener Kulturen nicht den gewünschten Effekt hatten. Brasilianische<br />

Akkulturationsforscher hatten bis weit in die 1970er Jahre hinein alle<br />

Veränderungsprozesse in indianischen Gesellschaften als Zeichen des nahenden<br />

Niedergangs <strong>und</strong> Endes indigener Gruppen interpretiert. Tatsächlich allerdings<br />

war in vielerlei Hinsicht <strong>das</strong> Gegenteil der Fall: Der Kontakt zwischen Weißen<br />

<strong>und</strong> Indianern, von Seiten der Nationalgesellschaft klar auf Assimilation<br />

angelegt, führte trotz indianischer Annahme neuer <strong>und</strong> Aufgabe alter Kulturelemente<br />

nicht zur Auflösung der indigenen Gruppen <strong>und</strong> zum Ende der Selbstwahrnehmung<br />

als Indianer. In vielen Fällen trug der Assimilationsdruck von<br />

außen vielmehr zu einer Bewusstwerdung des Wertes der eigenen Kultur auf<br />

indianischer Seite bei, ebenso wie zu einem Prozess der Einigung gegen den<br />

gemeinsamen Feind; im Rahmen dieser Vorgänge konnte eine indianische Mitsprache<br />

bei der Erstellung der neuen Verfassung Brasiliens von 1988 erreicht<br />

werden, in der <strong>das</strong> Recht der Indigenen auf eigene Territorien <strong>und</strong> eigene Kultur<br />

schließlich festgeschrieben wurde.<br />

Die Gründung zahlreicher indigener Organisationen im ganzen Land zu dieser<br />

Zeit zeigt, wie diese Entwicklung <strong>das</strong> ethnische Selbstbewusstsein vieler Indianer<br />

stärkte, <strong>und</strong> im Nordosten ist es dieser Zeitraum, in dem <strong>das</strong> Phänomen<br />

der so genannten „neuen indigenen Ethnizitäten“ Gestalt annimmt: Während in<br />

den 1950er Jahren die Liste indigener Gruppen Nordostbrasiliens nicht mehr<br />

als 10 Einträge umfasste, waren es 1994 bereits 23, <strong>und</strong> eine große Zahl von<br />

Brasilianern, die zuvor lediglich als ländliche Mestizen wahrgenommen worden<br />

waren, durften – oder mussten – nun wiederentdecken, wie man in der Öffentlichkeit<br />

Indianer zu sein hat.<br />

Die Idee der Ursprünglichkeit (Traditionalität, Harmonie mit der Natur, Spiritualität<br />

etc.) ist ein wesentlicher Bestandteil der stereotypisierten Erwartungen,<br />

die die brasilianische Gesellschaft guten Indianern entgegenbringt, <strong>und</strong> mit demselben<br />

Maß wird auch die Indianität der indigenen Gruppen des Nordostens gemessen.<br />

Um also in den Genuss des guten Willens der Öffentlichkeit zu gelangen,<br />

muss der Indianer des Nordeste ein diesen Erwartungen entsprechendes Bild bieten.<br />

Somit wird, wie ich es selbst beobachten konnte, von vielen Indigenen des<br />

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