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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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Gruppe von insgesamt vielleicht dreißig Jugendlichen <strong>und</strong> Verwandte aus deren<br />

Elterngeneration aus den im Projekt vertretenen Dorfgemeinschaften treffen. Dabei<br />

sind nicht alle Dörfer gleich stark vertreten – so bin ich zum Beispiel keinem<br />

Pankararu jemals online begegnet, Tupinambá, Tumbalalá <strong>und</strong> Xukuru-Kariri dagegen<br />

sehr oft. Darüber hinaus finden sich im Chat hin <strong>und</strong> wieder Indianer anderer<br />

Gruppen <strong>und</strong> nichtindianische Interessierte oder Sympathisanten, oftmals Schüler,<br />

die Nachforschungen für eine Hausarbeit anstellen, selten Anthropologen<br />

<strong>und</strong> manchmal Suchende, die sich Einblicke in indianische Spiritualität erhoffen.<br />

Die Registrierung ist für jeden offen. Jedes Mitglied, <strong>das</strong> einem der Administratoren<br />

9 glaubhaft seine indianische Identität versichert, kann von diesem systemintern<br />

mit dem Label „índio“ versehen werden – <strong>das</strong> heißt in der Konsequenz, <strong>das</strong>s<br />

<strong>das</strong> so beförderte Mitglied für den entsprechenden Namen <strong>und</strong> die im Chat erscheinenden<br />

Redebeiträge eine Textfarbe frei wählen kann. So einfach wird online<br />

die Identitätsfrage gelöst: Die Bunten sind die Indianer, jedenfalls theoretisch.<br />

Diese Möglichkeit der farblichen Kennzeichnung ist sehr begehrt; oftmals konnte<br />

ich mich vor diesbezüglichen Anfragen kaum retten, die ich dann meist an meine<br />

indianischen Administratorenkollegen weiterzuleiten versuchte, zumal ich nie<br />

wusste, ob es sich bei den Anfragenden denn nun wirklich um „richtige“ Indianer<br />

handelte oder nicht.<br />

Ob es bei der Popularität dieser Funktion allerdings darum ging, demonstrativ<br />

online Indianer sein zu können, oder eher ästhetische Spielfreude der Gr<strong>und</strong><br />

dafür war, kann ich nicht eindeutig beantworten. Angesichts der Beliebtheit von<br />

Programmen, mit denen man E-Mails mit allerlei unterhaltsamen Bildchen <strong>und</strong><br />

Animationen verzieren kann, ebenso der Emoticons (Smilies etc.), die <strong>das</strong> Chat-<br />

Interface bietet, möchte ich fast in letztere Richtung tendieren – allerdings schließen<br />

sich die beiden Möglichkeiten auch nicht gegenseitig aus.<br />

Im System gibt es acht Chaträume; einen für jede teilnehmende Ethnie sowie<br />

einen allgemeinen Raum mit dem Titel „Thydêwá“. Die ethnisch differenzierten<br />

Räume allerdings habe ich niemals in Verwendung gesehen. Offenbar zogen alle<br />

Chatbenutzer den allgemeinen Raum vor.<br />

Die Themen, die den größten Teil der Zeit besprochen werden, sind Alltäglichkeiten:<br />

Begrüßungen, Verabschiedungen <strong>und</strong> gegenseitige Erk<strong>und</strong>igungen nach<br />

dem Wohlbefinden. Die meisten Jugendlichen <strong>und</strong> ebenso einige ältere Benutzer<br />

verwenden den Chat vor allem zur Anbahnung oder Pflege virtueller Liebeleien.<br />

Die ersten Fragen, denen sich ein neuer Besucher meist ausgesetzt sieht, sind, in<br />

dieser Reihenfolge: Bist du Indianer? Bist du Mann oder Frau? Wie alt bist du? – es<br />

geht darum, potenzielle Flirtpartner schnell als solche zu erkennen. Bei gegenseitigem<br />

Interesse wird die Konversation schnell von einer Many-to-many- in eine<br />

Person-to-person-Form der Interaktion überführt – interessanterweise schon innerhalb<br />

des Chatsystems, <strong>das</strong> seitens Thydêwá eine solche Möglichkeit gar nicht<br />

technisch vorsieht: Die Möglichkeit der Versendung privater Mitteilungen innerhalb<br />

des Systems ist eigentlich allein den Administratoren vorbehalten. Der vielleicht<br />

nicht besonders ausführlich reflektierte Hintergedanke dabei war mögli-<br />

9. Administratorenrechte haben die Mitarbeiter der Thydêwá auf indianischer <strong>und</strong> nichtindianischer<br />

Seite, insbesondere die Teilnehmer des Computerkurses.<br />

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