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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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menschliches Gefühl, <strong>das</strong> in vielen Sprachen belegt wird (eng. My home is my<br />

castle, schw. Egen härd är guld värd) aber in der Situation der Einwanderer einen<br />

besonders hohen Stellenwert hat. Das durch viel Mühe erarbeitete eigene Haus<br />

(<strong>und</strong> eigene Land) bekommt eine tiefere Bedeutung für denjenigen, der bestrebt<br />

ist, in einem neuen Land Wurzeln zu schlagen:<br />

Der Mensch braucht ein Plätzchen, <strong>und</strong> sei es noch so klein,<br />

von dem er kann sagen: Sieh hier, <strong>das</strong> ist mein!<br />

Spontane Aussagen zu ethischem Verhalten<br />

Meine Untersuchung von Sprache <strong>und</strong> Mentalität der Deutschstämmigen in<br />

Südbrasilien umfasste, wie schon gesagt, auch Interviews in verschiedenen Gegenden<br />

der deutschen Kolonie, die hier als Vergleich herangezogen werden 4 . In<br />

den Gesprächen ging es nämlich auch um ethische Wertvorstellungen. Diese<br />

spontanen Antworten der Informanten (309 Belege) wurden ebenso mit Hilfe des<br />

Beschreibungsmodells analysiert. Dabei werden schon bei einer Rangordnung<br />

der Bereiche die Divergenzen zwischen dem mündlichen <strong>und</strong> dem schriftlichen<br />

Material klar (vgl. Abb.1):<br />

Einstellung zu:<br />

1. Religion 22 7. Schicksal 14<br />

2. Arbeit 40 8. Verantwortung 21<br />

3. Gerechtigkeit 12 9. Selbstwert 21<br />

4. Gefühl 24 10. Gesetz 37<br />

5. Besitz 19 11. Achtung 35<br />

6. Handlungsfreiheit 22 12. Information 42<br />

Abb.9: Mündliches Material – Anzahl pro Bereich<br />

In den Interviews steht an erster Stelle Bereich 2 „Einstellung zu Arbeit“. Die Aussagen<br />

zu Fleiß zeigen auch im mündlichen Material die hierzu gehörige hohe Wertschätzung<br />

5 . So wurde z. B. gesagt: „In der elterlichen Erziehung wurde klar, <strong>das</strong>s die Arbeit<br />

ein Wert ist <strong>und</strong> nicht nur eine Verdammung, ein positiver Wert“, <strong>und</strong> weiter: „Die<br />

Arbeit war der Gr<strong>und</strong>satz, nach der meine Mutter praktisch alles beurteilte.“ Im Vergleich<br />

zu den Lusobrasilianern gilt der Fleiß, wie schon erwähnt, als ethnisches Merkmal:<br />

„Am Schaffen kennt man die“, wie eine Informantin erklärte.<br />

Anders als bei den Wandsprüchen wird auch die dem Fleiß entgegengesetzte<br />

Untugend, die Faulheit, in vielen Aussagen deutlich stigmatisiert, so z. B.: „Bei uns<br />

hat sich nie einer auf die faule Haut gelegt“. Aber auch vor dem komplementären<br />

4. Die Sprache der Interviewten ist unterschiedlich stark dialektal geprägt. Bei der Transkription<br />

der Aussagen habe ich die sog. literarische Umschrift benutzt, die <strong>das</strong> Alphabet der<br />

Schriftsprache ohne Sonderzeichen verwendet.<br />

5. Die Einwanderung nach Brasilien wurde im vorigen Jahrh<strong>und</strong>ert mit der Begründung gefördert,<br />

<strong>das</strong>s <strong>das</strong> Land arbeitswillige „Arme“ [„braços“] brauche. Es handelt sich aber bei den<br />

deutschbrasilianischen Kolonisten nicht um die Arbeit des unfreien Mannes, sondern um die<br />

des Eigentümers, man arbeitet für sich <strong>und</strong> für seine Familie auf eigenem Boden.

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