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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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sehr, hier wird kein Bier serviert, wenn Sie sich in die Bar bemühen<br />

wollen“, worauf der gefeierte Dichter sich gehorsam zur Bar verfügte,<br />

während Zweig meinte: „Zum Donnerwetter! Wenn in Italien bei solcher<br />

Gelegenheit d’Annunzio einen Affen gewünscht hätte, hätte man<br />

ihm den in den Festsaal gebracht.“ (TB Bd. 15, 24.01.1942)<br />

Immer wiederkehrende Worte in Feders Gesprächsnotizen bezüglich des Gemütszustandes<br />

des Schriftstellers sind „Pessimismus“, „pessimistisch“ oder „tief deprimiert“.<br />

Aber nicht nur die dramatische Entwicklung in seiner alten Heimat bedrückte<br />

Zweig sehr, auch der Wandel, den Brasilien seit seinem letzten Besuch<br />

vollzogen hatte, stimmte ihn nachdenklich:<br />

[Zweig] findet Brasilien vollkommen verändert, Geld hineingeströmt,<br />

jetzt aller Luxus zu haben, <strong>das</strong> Minderwertigkeitsgefühl gegenüber allem<br />

Fremden, auch Argentinien, durch betonten Nationalismus, der<br />

alles Neu-Erreichte auf Getúlio Vargas zurückführt, ersetzt. Das niedere<br />

Volk findet er so angenehm, sehr ehrlich, 9/10 aller Häuser bleiben<br />

unverschlossen (?). […] Brasilien wird durch die rasche Umwandlung<br />

viel vom Besten verlieren, die Hochhäuser werden zur Kindereinschränkung<br />

führen. In Rio mag er nicht leben, kennt zu viele Leute,<br />

die er nicht wiedererkennt. Übertriebene, veraltete Höflichkeitsformen:<br />

Visitenkarten, Einsteigen in den Wagen. (TB Bd. 15, 30.12.1941)<br />

Neben diesen ernsten Themen nutzten Feder <strong>und</strong> Zweig ihr Beisammensein,<br />

um sich über die eigene schriftstellerische Arbeit auszutauschen. Feder ließ Zweig<br />

am Entstehungsprozess der Begegnungen teilhaben. Dieser prägte Feders Werk<br />

durch seine Anregungen, so schlug Zweig vor, eine Begegnung zwischen<br />

Montaigne <strong>und</strong> Tasso darzustellen (TB Bd.15, 05.02.1942), welche Feder in sein<br />

Buch mit aufnahm. Auch der gewählte Titel „Begegnungen“ geht auf einen Vorschlag<br />

von Stefan Zweig zurück (TB Bd. 15, 22.06.1943; der vollständige Titel lautet<br />

Begegnungen. Die Großen der Welt im Zwiegespräch). Zweig seinerseits legte<br />

dem Journalisten die Schachnovelle vor <strong>und</strong> bat um ein rückhaltloses Urteil. Er<br />

war sehr froh über Feders kritische Anmerkungen. Mehr als einmal betonte Lotte,<br />

wie gut Zweig diese Art von Gesprächen täte.<br />

Am 21.02.1942 luden Lotte <strong>und</strong> Stefan Zweig die Feders zu sich ein, um über<br />

die Eindrücke des Karnevals, dem beide Ehepaar kurz zuvor in Rio beigewohnt<br />

hatten, zu sprechen. 13 Als man gegen Mitternacht auseinander ging, ahnten Erna<br />

<strong>und</strong> Ernst Feder nicht, <strong>das</strong>s es ein Abschied für immer sein sollte, obwohl Feder<br />

die geistige Abwesenheit Zweigs, der mit seinen Gedanken woanders zu sein schien,<br />

<strong>und</strong> der düstere Schatten, der über der Unterhaltung gelegen hatte, aufgefallen<br />

war. Die böse Vorahnung, <strong>das</strong>s Zweig vielleicht Selbstmord begehen könnte, wie<br />

Feder am Morgen des 23.02.1942 notierte, wurde wenige St<strong>und</strong>e später als schreckliche<br />

Wahrheit bestätigt. Die tiefe Betroffenheit, die der Journalist darüber empfand,<br />

äußert sich auch in seiner heftigen Reaktion auf <strong>das</strong> respektlose Verhalten<br />

13. Da dieser Abend durch zahlreiche Artikel Feders <strong>und</strong> deren Nacherzählungen in Zweig-<br />

Biographien bekannt ist, wird an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen. Vgl. dazu<br />

FEDER 1942; 1943; 1950b; 1968 sowie DINES 2006.

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