Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

mus als Zeichen dafür zu deuten, dass er sich geirrt hat und der Toré aus indianischer
Sicht doch nicht an jeder Stelle das Mittel der Wahl ist, um Indianität zu
repräsentieren. 10
In meiner Zeit bei den Xukuru-Kariri entstand ein Konflikt, indem es genau
darum ging, wie man Indianer zu sein hat und wie nicht. Die Meinungen darüber
gingen auseinander und waren unübersehbar interessengeleitet, da zwar Fragen
nach Religion und Kultur im Vordergrund standen, aber machtpolitische Rivalitäten
zwischen zwei Familiengruppen die Folie bildeten, vor der die Auseinandersetzung
ausgetragen wurde. Aus einem Pool von besonders indianisch gedachten
Kulturelementen wählten die Fraktionen und Akteure diejenigen aus, die ihnen
jeweils geeignet schienen, um die Indianität der Gegenseite anzuzweifeln bzw.
die eigene zu illustrieren. 11
Eine der Lehrerinnen der Dorfschule hatte aus verschiedenen Gründen aufgehört,
am Ouricuri-Ritual teilzunehmen und sich einer protestantischen Kirche
angenähert. Das tat aus ihrer Sicht ihrer Identität als Indianerin keinen Abbruch,
da sie weiterhin Toré tanzte und vor allem in ihrer Tätigkeit als Lehrerin am Fortdauern
der indigenen Kultur arbeitete, wie sie in einem ihrer Beiträge zur Website
zeigt, der geradezu programmatischen Charakter hat:
Unsere Kultur ist alles für uns
Mein Name ist Tânia, ich bin 35 Jahre alt und eine Xukuru-Kariri-Indianerin
in der Aldeia Mata da Cafurna. Ich bin Lehrerin in diesem Dorf
seit 15 Jahren. [...] Ich versuche, durch Gespräche, Textproduktion und
Spaziergänge in unserem Regenwald tief im Geist jedes Schülers eine
Form zu finden, uns zu sensibilisieren für die Dinge, die wir tun können,
damit uns die Natur immer erhalten bleiben wird. Und auf diese Weise,
indem wir unsere Bräuche bewahren, werden unsere Traditionen weitergereicht,
von Generation zu Generation, so lang Gott will. [...] Ich
versuche sehr entschieden, die Bräuche des Katholizismus von denen
der indigenen Kultur zu trennen. Es tut mir leid, wenn sie sagen, dass sie
katholisch sind und Bilder anbeten. Aber ich hoffe von ganzem Herzen,
dass diese neue Generation mit einem Bewusstsein ihrer Kultur leben
wird und dass sie niemals so einen Eingriff erlaubt, wie er mit unseren
Vorfahren geschehen ist. Wir müssen unsere Kultur respektieren, und
die aller Völker, damit die unsere immer mehr Respekt gewinnt. Wir
müssen uns angesichts jeder Situation zu unserer Identität bekennen.
Ich versuche, diese Selbstsicherheit an alle weiterzugeben, seien sie nun
eine Autorität in der Dorfgemeinschaft oder nicht.[...].
Tânia
(THYDÊWÁ 2004, Eintrag „Nossa cultura é tudo para nós“, Abteilung
Xukuru-Kariri)
10. Auf der vor einiger Zeit reformierten und erweiterten Website ist allerdings inzwischen ein
längerer Beitrag veröffentlicht worden, der unter dem Titel „Toré Xucuru Kariri“ die populärsten
Toré-Gesänge dieser Gruppe kurz erläutert.
11. Für ähnliche Beobachtungen bei den Canela im brasilianischen Maranhão und bei den
Mayangna in Nicaragua s. KOWALSKI 2004 bzw. MARGGRAFF 2001.
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