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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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wohl Hoffnung auf Assimilierung als auch Misstrauen zeigte, fragte den Jungen<br />

ohne erkenntlichen Gr<strong>und</strong>: „Bist du Ungar?“ – „Nein, Herr,“ antwortete der Junge,<br />

„ich bin Brasilianer.“ 23<br />

Konfuse Vorstellungen von Juden äußerten sich reichlich in den Presseberichten<br />

zur Eröffnung der Kolonie. In den meisten Fällen allerdings spiegelten sie<br />

eine Sicht ‚des Juden‘ sowohl als positiv für die Entwicklung wie auch als negativ<br />

für die brasilianische Gesellschaft wieder. Das Portrait eines Kolonisten im Diário<br />

de Notícias, <strong>das</strong> unzutreffend mit „Sohn eines Berliner Bankiers“ überschrieben<br />

war, leitete die Leser gleichzeitig zu traditionellen antisemitischen Assoziationen<br />

von reichen Juden <strong>und</strong> der Hoffnung, <strong>das</strong>s dieser Reichtum seinen Weg nach<br />

Brasilien finden möge. 24 Die Zeitung A Noite in Rio de Janeiro nannte die Kolonie<br />

„eine kleine Heimat für solche ohne Heimat“, indem sie dabei andeutete, <strong>das</strong>s<br />

Juden niemals Brasilianer werden könnten <strong>und</strong> <strong>das</strong>s Resende ein Staat im Staate<br />

sei. 25 Dies wurde verstärkt durch konstante Verweise auf die „Fazenda dos Judeus“.<br />

In der Regierung teilte man diese Ansichten <strong>und</strong> de facto wurden keinen <strong>Flüchtlinge</strong>n<br />

Visa erteilt, um sich in Resende anzusiedeln. Als die JCA 1939 eine Gruppe<br />

zur Begutachtung der Kolonie entsandte, kommentierte einer der Besucher: „It is<br />

sad and significant to see the new houses fully furnished, on small vegetable, dairy<br />

and fruit farms, fenced and equipped, standing empty and deteriorating.“ 26<br />

Der Versuch der Jewish Colonization Association nach den Regeln zu spielen<br />

<strong>und</strong> die Gunst der Regierung wiederzuerlangen, war ein Fehlschlag, doch die<br />

Weigerung des Vargas-Regimes, jüdischen Landwirten Visa zu bewilligen, deutet<br />

auf einige Punkte, die erhellenswert sind: Vorgefasste Ansichten ließen viele<br />

Politiker die Vorstellung verwerfen, <strong>das</strong>s Juden Landwirte sein könnten. Gleichzeitig<br />

sahen selbst diejenigen, die an die Wirksamkeit landwirtschaftlichen Trainings<br />

von <strong>Flüchtlinge</strong>n glaubten, in der Aufnahme dieser Gruppe sowohl politische<br />

als auch kulturelle Gefahren. Jüdische Immigranten, selbst wenn sie Landwirte<br />

waren, wurden nicht als brauchbare Ackerbauern angesehen, sondern als<br />

unerwünschte Juden.<br />

IV. Selbst- <strong>und</strong> Fremdbilder<br />

Trotz des Widerstands gegen die jüdische Einwanderung im Fall Resende kamen<br />

doch viele deutsche Juden nach Brasilien. Und tatsächlich half diese neue<br />

Präsenz deutscher Juden der bereits etablierten osteuropäischen Gemeinschaft<br />

in ihrem Kampf gegen den Antisemitismus. Der bildungs- <strong>und</strong> besitzbürgerliche<br />

Hintergr<strong>und</strong> der Neuankömmlinge wurde nämlich als weniger unerwünscht angesehen,<br />

obgleich ihre Ansiedlung in städtischen Gebieten in Widerspruch zur<br />

brasilianischen Einwanderungspolitik stand, die ja auf Landwirte ausgerichtet war.<br />

Nativisten, die in der brasilianischen Politik nach 1930 eine kritische Rolle vertra-<br />

23. A Noite (Rio de Janeiro), 30. Juni 1938.<br />

24. Diário de Notícias (Rio de Janeiro), 19. Oktober 1938.<br />

25. A Noite (Rio de Janeiro), 30. Juni 1938.<br />

26. Bericht von Mr. Tracy Phillips – 13. Januar 1939. Séance du Conseil d’administration (6. Mai<br />

1939) II. Archiv der Jewish Colonization Association, London.<br />

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