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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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Correio da Manhã in Rio de Janeiro publizierte Leitartikel zugunsten einer Zunahme<br />

jüdischer Präsenz, unter Verweis darauf, <strong>das</strong>s „[...] der große Exodus von jüdischen<br />

Arbeitern aus Deutschland […] alle ihre technischen, industriellen <strong>und</strong> vor<br />

allem landwirtschaftlichen Fertigkeiten ins Land bringen würde.“ 28 Ildefonso Falcão,<br />

der Brasilianische Konsul in Köln, wendete sich vertraulich an den Außenminister<br />

Afrânio de Mello Franco hinsichtlich der Möglichkeiten für die Erteilung von Immigranten-Visa<br />

an Deutsche „semitischer Rasse, die öffentliche Positionen bekleidet<br />

haben oder in freien Berufen tätig gewesen sind.“ 29 Zusammen mit ihren beruflichen<br />

Kompetenzen, so dachte Falcão, würden die Juden „einen Teil ihres Kapitals<br />

mitbringen, aufgr<strong>und</strong> einer besonderen Lizenz vonseiten der deutschen Regierung.“<br />

Er gelangte zu seinem Schluss nicht ohne äußeren Anlass: Die jüdischen<br />

Direktoren einiger von Deutschlands großen Industrien, darunter die Schürman<br />

<strong>und</strong> Tietz A. G. (Möbel) <strong>und</strong> die Ludolph Marx Gruppe, waren mit förmlichen<br />

Vorschlägen an den Konsul herangetreten, ähnliche Betriebe in São Paulo <strong>und</strong><br />

Rio de Janeiro zu errichten. 30<br />

Der starke Sinn für <strong>das</strong> ‚Deutsche‘, der einerseits Teil der deutsch-jüdischen<br />

Kultur war <strong>und</strong> zudem durch den Status, den es in Brasilien einbrachte, betont<br />

wurde, führte auch zur Entstehung einer sehr charakteristischen <strong>und</strong> separaten<br />

deutsch-jüdischen religiösen Sphäre. Die deutschen Juden folgten im Allgemeinen<br />

der liberalen Tradition des Gottesdienstes, einer Form, die aus der Emanzipation<br />

Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts erwachsen war <strong>und</strong> auf der Idee gründete, <strong>das</strong>s<br />

Juden religiös zu Hause <strong>und</strong> in der Öffentlichkeit Staatsbürger sein sollten. Die<br />

liberale Tradition (Einheitsgemeinde), die auch in der Landessprache geführte<br />

Gottesdienste einschloss, wurde von vielen osteuropäischen Juden, die die traditionelle<br />

Form des Gottesdienstes beibehielten, als unangemessen angesehen.<br />

Es war in den größeren Städten, wo es zur Organisation der ersten deutschjüdischen<br />

Religionsgemeinden in ausgedehnterem Rahmen kam. Obgleich von<br />

deutschen Juden mit ähnlichem soziokulturellem Hintergr<strong>und</strong> geschaffen,<br />

beeinflussten die Unterschiede zwischen den jeweils bestehenden jüdischen Gemeinschaften<br />

die Art <strong>und</strong> Weise, wie diese neuen Organisationen wirkten. In Porto<br />

Alegre gründete die deutsch-jüdische Gemeinschaft im Juli 1939 die bereits<br />

erwähnte Israelitisch-Brasilianische Gesellschaft für Kultur <strong>und</strong> Wohltätigkeit (SIBRA)<br />

aufgr<strong>und</strong> der Überzeugung „innerhalb des Kreises derjenigen Juden, die Deutsch<br />

sprechen, <strong>das</strong>s dort ein hinreichendes Interesse besteht, ein soziales <strong>und</strong> kulturelles<br />

Zentrum zu schaffen.“ 31 Von den ersten 200 Mitgliedern der SIBRA stammten<br />

mehr als 75 Prozent aus Deutschland <strong>und</strong> ca. ein Drittel der restlichen Personen<br />

aus Österreich oder Ungarn. 32 Anders als andere deutsch-jüdische Vereinigun-<br />

28. Oscar Messias Cardoso: A Emigração Israelita Através do M<strong>und</strong>o. Correio da Manhã, 27.<br />

August, 1933.<br />

29. Ildefonso Falcão an Afrânio de Mello Franco, 27. Juni 1933. EC/191/558/Reservado/1935/<br />

Annexo. Maço 10.561 (741). Arquivo Historico Itamaraty, Rio de Janeiro.<br />

30. Ibd.<br />

31. Interview des Verfassers mit Bernhard Wolff in Porto Alegre am 21. Juli l986.<br />

32. Em Memória dos sócios falecidos e seus familiares, l936-l986. Bernhard Wolff-Archiv<br />

(Porto Alegre).<br />

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