Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

Besuchern im Chat führen zu mehr Irritationen, als es in weniger interaktiven
Medialisierungen von Indigenität der Fall ist; anders als in der „professionellen“
indigenen Öffentlichkeitsarbeit werden Klischees öfter dekonstruiert als zur
Prestigevergrößerung eingesetzt, sei es willentlich oder nicht, und die romantischen
Erwartungen des nichtindigenen Chatbesuchers werden enttäuscht.
In ihrer öffentlichen Wahrnehmung bleiben Índios Online und Índios na Visão
dos Índios vorbildhafte und einzigartige Projekte – und nicht zuletzt Aufsehen erregende.
Mit verschiedenen nationalen Auszeichnungen, einem Fördervertrag des
Kulturministeriums und der lobenden Aufmerksamkeit der UNESCO bedacht, darf
man die Arbeit von Thydêwá durchaus als erfolgreich bezeichnen. Betrachtet
man, wie es das Kulturministerium und auch die UNESCO bisher getan haben, die
Endprodukte – die Bücher und die Internetpräsenz der Projekte – bleibt der von
Gerlic so genannte „romantische Diskurs vom indigenen Protagonisten“ ein größtenteils
glaubwürdiger.
In dieser Hinsicht hat meine Arbeit zwangsläufig einen entlarvenden Charakter,
der mir etwas unbehaglich ist. Zwar funktionieren die Projekte weniger als
indianische Selbstläufer als von Thydêwá gewünscht, und sie funktionieren auch
anders, als Thydêwá potenzielle Sponsoren glauben lässt (was im weiten Feld der
nichtkommerziellen Entwicklungsorganisationen gewiss kein Einzelfall ist). Ihre
Originalität möchte ich ihnen deshalb nicht in Abrede stellen, noch ihr Potential
für eine zukünftige Stärkung indianischer Positionen gegenüber Problemen interner
Organisation und Teilnahme am Weltgeschehen – Probleme, deren Lösung
oder zumindest Verkleinerung tatsächlich durch Vermittlung der Kenntnisse
und Zugangsvoraussetzungen für die Verwendung eines weit reichenden
Kommunikationsnetzwerkes erreicht werden könnte.
Ich halte es allerdings für nötig, die Planung der Projekte noch stärker unter
indianischer Beteiligung durchzuführen und damit an indianischen Bedürfnissen
auszurichten – der von Thydêwá vorgegebene, recht unflexible Rahmen von Índios
Online trifft in sieben verschiedenen Reservaten auf sieben verschiedene Situationen
und kann nicht in jeder Lage gleich gut funktionieren. Wie diese bessere
Anpassung an oft schwierig einzukreisende indianische Bedürfnisse aussehen
könnte, wird die Zukunft oder ein anderer Essay zeigen müssen. Jedenfalls spricht
nicht zuletzt der große Respekt, den Thydêwá sich in der kurzen Zeit ihres Bestehens
unter den mit ihr zusammenarbeitenden indianischen Gruppen erworben
hat, dafür, dass ihre Projekte so fehlgeplant, nutzlos und an indianischen Bedürfnissen
vorbei nicht gewesen sein können.
Literatur
APPADURAI, Arjun (1996): Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis/
London.
BARLEY, Nigel ([1997] 2000): Traumatische Tropen. Notizen aus meiner Lehmhütte. München.
BARRETO FILHO, Henyo Trindade (1993): Tapebas, Tapebanos e Pernas-de-Pau: etnogênese como
processo social e luta simbólica. (Dissertação de Mestrado). Rio de Janeiro.
BARRETO FILHO, Henyo Trindade (2004): Invenção ou renascimento? Gênese de uma sociedade
indígena contemporânea no Nordeste. In: OLIVEIRA (2004), S. 93-138.
BIRRAUX-ZIEGLER, Pierrette (1986): Indianer Brasiliens: Von lokalen Kämpfen um das Land bis zur
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