Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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indianischen Gruppen Nordostbrasiliens, die ich näher kennen gelernt habe, die
Wechselwirkungen zwischen der Reproduktion und Konstruktion indianischer
Identität und der Anwesenheit und Arbeit des nichtindianischen Experten besonders
groß war und ist.
Aus dieser Perspektive kann der Prozess der „Wiederauferstehung“ der
Tupinambá in Bahia zurückverfolgt werden zur Entdeckung eines klassischen und
Lesern dieses Jahrbuches gewiss nicht unbekannten Werkes über die menschenfressenden
Küsten-Tupinambá durch die Bewohner des Caboclo-Dorfes 7 Olivença:
Ein nichtindianischer Ausbilder indigener Lehrkräfte hatte in den 1990er Jahren
Stadens Warhaftige Historia (STADEN [1557] 1978) ins Dorf mitgebracht, um es im
Geschichtsunterricht zu verwenden. Die caboclos von Olivença fanden sich selbst
in den Beschreibungen Stadens wieder und verwendeten das Buch fortan als
Basis für die Rekonstruktion ihrer Traditionen – so benannten sie zum Beispiel
ihren rituellen Tanz, den Toré, in Porancim um, weil Staden einen von ihm beobachteten
Tanz so genannt hatte. Diese Entwicklung fand ihren vorläufigen Höhepunkt
in der offiziellen Anerkennung der bahianischen Tupinambá als indigenes
Volk durch die FUNAI 2002. 8 Ähnliche Prozesse beschreibt der brasilianische Ethnologe
Henyo Trindade Barreto Filho, der in einem Forschungsinterview von
einer Indianerin schmunzelnd mitgeteilt bekommt, dass die Tapeba sich erst wieder
für die Tapeba zu interessieren begonnen haben, seitdem er, der Ethnologe,
so viele Fragen über die Tapeba stellt – bis dahin hatte man gar nicht mehr darüber
nachgedacht, aber mit einem Mal wollten alle Indianer sein (vgl. BARETTO
FILHO 1993, 2004).
Der Forscher oder Ratgeber von Außen kann also durchaus zum Katalysator
des identitären Prozesses werden. Bezüglich meiner Arbeit mit Thydêwá sehe ich
mich in vergleichbare und ähnlich komplexe Strukturen eingebunden.
Online
Das Recht auf und die Möglichkeit zur informationellen Selbstbestimmung, die
– zumindest in meinen Augen – die Dreh- und Angelpunkte des Projekts Índios
Online darstellten, trafen auf indianischer Seite zwar in der Theorie, nicht aber in
der Praxis auf besonders viel Enthusiasmus; die Initiative, den dokumentarischen
Teil der Website mit neuem Material zu versehen, ging bei den meisten Gelegenheiten
von mir aus. Auf wesentlich mehr Interesse der Begünstigten stieß das der
Seite beigegebene Chatsystem; diese Beobachtung habe ich bei den Xukuru-Kariri
ebenso wie bei den Pataxó-Hãhãhãe gemacht. Die hohe Zahl der 3000 registrierten,
größtenteils nichtindianischen Nutzer, die Thydêwá in den ersten Wochen
der Laufzeit des Projektes bei verschiedenen Aktionen sammeln konnte, ist wenig
aussagekräftig für das tatsächliche Geschehen im Chat, in dem sich vor allem eine
7. Caboclos: Mischlinge; z. B.: „Das ist doch kein richtiger Indianer, bloß ein Caboclo!“
8. Der Ausbilder, der den Indianern Stadens Buch vorgestellt hatte, war ausführender Direktor
von Thydêwá zur Zeit meiner Arbeit mit der Organisation. Genaueres über die Bedeutung
des Tanzes für die Ethnogenese der Tupinambá wird in seiner noch unveröffentlichten Dissertation
nachzulesen sein: PAMFILIO (unv.)