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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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Als die Jesuiten im Jahr 1759 im Rahmen der säkularisierenden Maßnahmen<br />

des Marquês de Pombal Portugal <strong>und</strong> seine Kolonien verlassen mussten, sahen<br />

sich die Bewohner der Missionsdörfer des Hinterlandes mit einem Mal wieder sich<br />

selbst überlassen: Weil die Besiedlung Brasiliens bis zu diesem Zeitpunkt vor allem<br />

im fruchtbareren Küstenbereich stattgef<strong>und</strong>en hatte <strong>und</strong> der Sertão wirtschaftlich<br />

noch wenig interessant war, konnten die Indianer die Verwaltung der ehemaligen<br />

Missionssiedlungen nun von der weißen Gesellschaft relativ unbeeinträchtigt<br />

in Eigenregie fortführen. Dies allerdings nur bis zur Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />

als die nicht-indianischen Siedlungen im Landesinneren zu wachsen begannen<br />

<strong>und</strong> in ihrem Umkreis von der Küste umgesiedelte wohlhabende Familien versuchten,<br />

sich als Viehzüchter zu etablieren – ein Geschäftszweig, für den man viel<br />

Land brauchte. Die ehemals zu den Missionen gehörenden Ländereien wurden<br />

an weiße Landwirte verpachtet. Mit diesen Vorgängen beginnt die Unsichtbarkeit<br />

großer Teile der indigenen Bevölkerung des Nordostens in der brasilianischen<br />

Öffentlichkeit ebenso wie in der ethnologischen Literatur. 2 Es gilt in der Öffentlichkeit<br />

bis heute <strong>und</strong> galt in weiten Teilen der Wissenschaft bis zum Ende des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts als Gemeinplatz, <strong>das</strong>s die Indianer des Nordostens bis auf wenige<br />

Ausnahmen als Gemeinschaften ausgestorben oder zumindest bis zur kulturellen<br />

Unkenntlichkeit assimiliert in der nationalen Gesellschaft aufgegangen sind (s.<br />

OLIVEIRA 2004, S. 26).<br />

1910 wurde der Serviço de Proteção ao Índio (SPI) gegründet, der einige Postos<br />

Indígenas im Nordosten demarkierte <strong>und</strong> damit wieder offiziell als indianische Ländereien<br />

anerkannte. 3 Anders als im Amazonasgebiet, wo oftmals aus geopolitischen<br />

Erwägungen Indianerland in schwierig zu kontrollierenden Grenzgebieten<br />

zu anderen Nationalstaaten anerkannt wurde, war die Situation im Nordosten<br />

eine andere: Die Indianer lebten nicht jenseits des Endes der „zivilisierten Welt“,<br />

sondern waren inzwischen in die Strukturen von Viehzucht <strong>und</strong> Zuckerrohranbau<br />

des Hinterlandes integriert, wenn auch selbstverständlich am untersten Ende<br />

des Macht- <strong>und</strong> Wohlstandsgefälles. Es interessierte die Autoritäten nicht, <strong>das</strong><br />

Land, <strong>das</strong> sie bewohnten, möglichst <strong>und</strong>urchdringlich zu halten, um Feinden von<br />

außen <strong>das</strong> Durchkommen zu erschweren – vielmehr galt es, der landwirtschaftlichen<br />

Erschließung der Region <strong>und</strong> damit der Bereicherung der daran Beteiligten<br />

weiter nachzuhelfen. An dieser Erschließung hatten wiederum die Indianer verständlicherweise<br />

kein großes Interesse, so <strong>das</strong>s der SPI, im Rahmen der ihm anvertrauten<br />

Vorm<strong>und</strong>schaft über die damals noch offiziell unmündigen Indigenen, es<br />

in vielen Einzelfällen für eine zukunftsträchtige Vorgehensweise hielt, indianisches<br />

Land weiter Stück für Stück an Großgr<strong>und</strong>besitzer zu verpachten, die Ordnung<br />

<strong>und</strong> Fortschritt vorantreiben sollten.<br />

Für die Indigenen, die nicht flohen, ergaben sich aus dieser Entwicklung nahezu<br />

feudale Strukturen, in denen sie auf dem Land, <strong>das</strong> eigentlich anerkannter-<br />

2. Ausnahmen bilden z. B. die Arbeiten von Curt Nimuendajú, der Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

ausgedehnte Forschungsreisen im Nordeste unternommen hat.<br />

3. Pankararu in Pernambuco and Pataxó[-Hãhãhãe] in Bahia 1937, Kariri-Xocó in Alagoas 1944,<br />

Truká in Bahia in den 1940ern, Atikum in Pernambuco <strong>und</strong> Kiriri in Bahia 1949, Xukuru-Kariri<br />

in Alagoas 1952, Kambiwá in Pernambuco 1954 <strong>und</strong> Xukuru, ebenfalls in Pernambuco, 1957<br />

(s. Oliveira 2004, S.27).

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