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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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gleichmäßig belegt sind. Im Bereich 10 „Ehrlichkeit/Unehrlichkeit“ übertrifft die<br />

Anzahl der negativen Aussagen sogar die der positiven, ein einmaliges Ergebnis,<br />

<strong>das</strong> im restlichen Material nicht vorkommt. Wie schon gezeigt, werden Laster nur<br />

sehr spärlich in den Wandsprüchen fokussiert. Untugenden, die ausschließlich in<br />

den Interviews berührt werden, sind z. B. im Bereich 1 Aberglaube <strong>und</strong> Misstrauen,<br />

im Bereich 8 die beiden komplementären Laster Verantwortungslosigkeit bzw. übertriebenes<br />

Verantwortungsgefühl, im Bereich 9 Minderwertigkeitshaltung bzw. Hochmut<br />

<strong>und</strong> im Bereich 11 Unterwürfigkeit.<br />

Sehr oft beziehen sich die negativen Aussagen auf ‚die anderen‘, von denen<br />

man sich abgrenzen möchte, sei es „die Brasilianer“, „die Katholiken“, „die Städter“<br />

oder „die Blauen“. Vertreter anderer Ethnien werden mit gewisser Skepsis<br />

betrachtet: „Die Blaue’ kann man net traue’. So’ne Mistura“ oder „Sinn net so<br />

confiáveis“. Diese Tendenz der Ausschließung in den negativen Äußerungen<br />

erklärt auch ihr Fehlen bei den Wandsprüchen, die ja in ihrer Botschaft<br />

Allgemeingültigkeitsanspruch erheben. Gerade durch sprichworthafte, stilistische<br />

Elemente wie „Wer..., der...“ umfassen sie sowohl den direkt Angesprochenen<br />

als ‚die anderen‘.<br />

Die ‚italienischen‘ Wandsprüche in Rio Grande do Sul<br />

Selbstbild der italienischen Einwanderer<br />

Wie im Anfang des Artikels berichtet, gibt es in Rio Grande do Sul neben der<br />

deutschen eine ebenso große Einwanderergruppe italienischer Herkunft. In<br />

einem 1999 erschienenen Buch über ethnische Identität Nós, os Italo-Gaúchos<br />

(MAESTRI 1998) mit Beiträgen von r<strong>und</strong> 20 Personen italienischer Abstammung<br />

sieht sich der Italo-Riograndenser vor allem als arbeitsam, sparsam <strong>und</strong><br />

geschäftstüchtig, aber auch als emotiv, religiös <strong>und</strong> sehr mit seiner Familie<br />

verb<strong>und</strong>en. Diese Eigenschaften habe ich auch in Stichprobeninterviews feststellen<br />

können anhand des gleichen Fragebogens, der bei den deutschen Interviews<br />

gebraucht wurde.<br />

Das Forschungsprojekt von Unisinos<br />

Das in der Einleitung erwähnte sozialgeschichtliche Projekt Imagens e Palavras<br />

der Universität Unisinos in São Leopoldo hat sich zum Ziel gesetzt, die im italienischen<br />

Einwanderungsgebiet vorherrschenden Wertvorstellungen näher zu untersuchen<br />

<strong>und</strong> systematisch darzulegen.<br />

Bei der Durchführung des Projekts wurden in Feldarbeit diverse Textilien als<br />

Artefakte der materialen Kultur eingesammelt, u. a. 74 gestickte Wandsprüche.<br />

Manche Sprüche liegen mehrfach vor, zwei- oder dreimal, ab <strong>und</strong> zu mit kleinen<br />

orthographischen Abweichungen, <strong>und</strong> insgesamt sind es nur 55 verschiedene<br />

Texte. Bei dieser italienischen Wandspruchsammlung handelt es sich um ein<br />

begrenzteres Material, aus dem keine allzu bedeutsamen Folgerungen gezogen<br />

werden können <strong>und</strong> <strong>das</strong> natürlich nicht ausreicht, um ein ethisches Konzeptprofil<br />

dieser Kulturgemeinschaft aufzustellen. Es fällt aber auf, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> oben erwähnte<br />

Selbstbild der Italo-Riograndenser durch die Prioritätensetzung der Wandsprüche<br />

bestätigt wird: emotiv, religiös, arbeitsam <strong>und</strong> sparsam.<br />

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