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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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314<br />

belegt. Man erinnert sich an Sprichwörter aus der Kindheit wie Wer spart in Zeit,<br />

hat in der Not. Ein Informant sagt:<br />

Was ganz groß geschrieben war bei uns zu Hause war <strong>das</strong> sparsame<br />

Leben. So bin ich erzogen. Etwas Abgebrauchtes <strong>das</strong> wurde bei uns<br />

immer aufgehoben, „wer weiß, <strong>das</strong> kann man noch gebrauchen“. Es ist<br />

uns ins Blut übergegangen.<br />

Vor den Untugenden Geiz <strong>und</strong> Verschwendungssucht wird allerdings ebenso<br />

gewarnt:<br />

Da hat nichts gefehlt bei der Mama, es ist am Essen nicht gespart<br />

worden, was übrigblieb, bekam <strong>das</strong> Vieh, nichts wurde weggeworfen:<br />

„Versauen net“, hat sie gesagt.<br />

Im Bereich 11 „Einstellung zu Achtung/Respekt gegenüber anderen“ überwiegt<br />

bei den Wandsprüchen eindeutig die Anzahl Belege für Integritätswahrung <strong>und</strong><br />

Selbstbehauptung. In den Interviews dagegen kommen diese Eigenschaften kaum<br />

zu Wort. Stattdessen wird von den komplementären Einstellungen Respekt, Höflichkeit<br />

gesprochen. Respekt vor den Älteren, Höflichkeit <strong>und</strong> Dankbarkeit waren<br />

demnach priorisierte Anliegen in der Erziehung:<br />

Wir haben nie über alte Leute gespottet, <strong>das</strong> hat es bei uns nicht gegeben.<br />

Man musste den Alten immer die Zeit bieten.<br />

Wenn ich was geschenkt bekomme, muss ich was abgeben, meine Mama<br />

hat immer gesagt „Eine Hand wäscht die andere“.<br />

Die entgegengesetzte Untugend Verachtung, Überheblichkeit wird wiederholt<br />

durch dialektale Ausdrücke exemplifiziert: So bedeutet stumbieren ‚schlecht behandeln,<br />

jemanden nicht zu seinem Recht kommen lassen‘ wie z.B.: „Die Brasilioner<br />

Männer tun die deitsche Mäd stumbiere“. Das oft benutzte Adjektiv schroh kann<br />

einen überheblichen, groben <strong>und</strong> unhöflichen Menschen bezeichnen.<br />

Identität <strong>und</strong> Solidarität sind Polykonzepte, die in den Wandsprüchen nicht<br />

direkt vorkommen, aber in den Interviews stark hervorgehoben wurden <strong>und</strong> zu<br />

mehreren Bereichen hingeführt werden können. Dazu gehören Eigenschaften<br />

wie Verantwortungsbewusstsein (8), Hilfsbereitschaft (6) <strong>und</strong> berechtigter Stolz (9).<br />

Der Bedarf an Solidarität <strong>und</strong> Zusammenhalten innerhalb der Gruppe motiviert<br />

dieses Verhalten:<br />

Deitsche Leit’ die halle’ fest.<br />

In der Arbeit waren sie sehr pünktlich, in der Besorgung der Felder,<br />

die Pflanzung reinhalten, nichts vor Unkraut umkommen lassen.<br />

Die gegenseitige Hilfe in der Kolonie war früher sehr stark. Es passierte eigentlich<br />

überhaupt nicht, <strong>das</strong>s einer mal den anderen im Stich gelassen hat.<br />

Die Rolle der Laster<br />

Der größte Unterschied zwischen dem mündlichen Material <strong>und</strong> den Wandsprüchen<br />

liegt in der Anzahl Belege zu negativen Eigenschaften (43% der Äußerungen),<br />

d. h. <strong>das</strong>s Tugenden <strong>und</strong> Untugenden im mündlichen Korpus beinahe

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