Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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in Blumenau waren vor dem 1.Weltkrieg die führenden Produzenten mit bereits
jeweils mehr als 200 Beschäftigten.
Die europäischen Einwanderer brachten soziokulturelle Grundlagen mit sich,
die in Europa traditionell ihre Wurzeln in der Arbeitsdisziplin der Zünfte hatten.
Die Handwerker der Zünfte stellten in den deutschen Städten des ausgehenden
Hoch-Mittelalters bis zur Aufhebung der Vorrechte der Zünfte durch die Gewerbefreiheit
im 19. Jahrhundert die soziale Mittelschicht, die durch ihre Arbeitsauffassung
einen wesentlichen Teil der städtischen Gesellschaft bildete. Die Zünfte
zeichneten sich durch strenge Satzungen und Zunftbräuche aus, die auf der patriarchalisch-autoritären
Familienstruktur basierten, die in allen Ebenen der Gesellschaft
vorherrschte. Gute Organisation und solide Lehrlingsausbildung, Preis- und
Qualitätsvorschriften waren wichtige Kriterien der Zünfte. Des Weiteren waren
untadeliger Lebenswandel, Rechtschaffenheit und die starke Kontrolle innerhalb
der Gemeinschaft Regeln, die Identität schufen, gleichzeitig eine Qualitätsarbeit
garantierten und Fremde aus den Zünften fernhielten. Als Maschinen die handwerkliche
Arbeit ersetzten, verließen viele Handwerker, Meister und kleine Unternehmer
Deutschland (RENAUX 1995).
In den deutschstämmigen Siedlungsgebieten in Santa Catarina identifizierte sich
der neue Unternehmungsgeist mit der politischen Richtung der Republikaner. Deren
wirtschaftliche Prinzipien konzentrierten sich u. a. auf den Ausbau der Infrastruktur,
die Vereinfachung der juristischen Vorgänge, auf maximale Autonomie der
Munizipien, gerechtere Erhebung und Verteilung der Steuern. Als Brasilianer naturalisierte
Einwanderer bildeten republikanische Komitees und wurden auch als
Abgeordnete gewählt, so Carlos Renaux für die republikanische Partei im Itajaí-Tal.
Zwischen den beiden Weltkriegen ermöglichte die Politik der Importsubstitution
eine Blüte der brasilianischen Industrieproduktion, auch der Catarinenser Textilindustrie.
Für die Vertikalisierung der Betriebe wurden neue Maschinen importiert, die
aber von ausgebildeten Technikern, vor allem aus Deutschland, installiert und bedient
werden mussten. Die in Deutschland wütende Inflation, die in den 1920er Jahren
viele Existenzen vernichtete, führte zu einer starken Auswanderung. Da die Fachleute
ihren Beruf in einer Region ausüben wollten, in der sie sich auch sprachlich
verständigen konnten, bot sich Santa Catarina und Südbrasilien als erste Wahl an.
Diese Einwanderer brachten nicht nur technische Kenntnisse mit, die der Industrie
einen sehr starken Impuls und ein innovatives Profil verliehen, sondern
hatten auch einen fundierten kulturellen Hintergrund. Innovation und Qualitätsstandard
der Produktion wurden Charakteristika dieser Phase in Santa Catarina.
Dies zu einer Zeit, in der die Industrie in São Paulo durch das völlige Fehlen einer
systematischen Nutzung technischer und organisatorischer Ressourcen (PEREIRA
1967) auffiel und auch in der brasilianischen Textilindustrie kaum fundierte Fachkenntnisse
und ausgebildete Unternehmer vorhanden waren (STEIN 1979).
Die Catarinenser Textilindustrie gehörte zu den führenden Exporteuren. Als
Beispiel für den Aufschwung in Santa Catarina kann der Verbrauch von Baumwolle
und Wolle der Firma Renaux genommen werden, der sich zwischen 1918 und 1946
verzehnfachte (HERING 1987). Dabei muss betont werden, dass die Anstrengungen
zur technischen Verbesserung mit einer strengen Arbeitsauffassung und Arbeitsmoral
sowie einer Mentalität verbunden waren, die für Nordost-Santa Catarina