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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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Da ein wesentlicher Bestandteil des Ouricuri die Geheimhaltung seiner Inhalte<br />

gegenüber nichteingeweihten Außenseitern ist, leuchtet es jedoch ein, <strong>das</strong>s<br />

sich dieser Brauch in der Öffentlichkeit nicht gut eignet, um anschaulich Indianer<br />

zu sein. Ähnliches gilt für den Toré, der zwar als Vorführung beeindrucken kann,<br />

über den sich aber in Form von Texten jedenfalls auf indianischer Seite nicht viel<br />

reden lässt, da viele tiefere Bedeutungen des Rituals mit dem Komplex des Ouricuri<br />

verb<strong>und</strong>en sind <strong>und</strong> damit unter dieselben Geheimhaltungsregeln fallen.<br />

Pataxó-Hãhãhãe<br />

Trotz der Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb des<br />

Reservates sind die Pataxó-Hãhãhãe in ihrer politischen Mobilisierung deutlich weiter<br />

fortgeschritten als die Xukuru-Kariri <strong>und</strong> damit als Ethnie in der brasilianischen<br />

Öffentlichkeit wesentlich präsenter. In Palmeira dos Índios, der Stadt, die an <strong>das</strong><br />

Reservat der Xukuru-Kariri grenzt, wissen viele Stadtbewohner nicht einmal von der<br />

Existenz der in der Umgebung lebenden Indianer – <strong>das</strong> ist in Pau Brasil <strong>und</strong>enkbar.<br />

In den Interaktionen mit der Außenwelt geht es den Pataxó-Hãhãhãe vor allem<br />

darum, ein einheitliches Bild einer homogenen ethnischen Gemeinschaft zu<br />

projizieren; die Spannungen zwischen den Ethnien, von denen innerhalb des<br />

Reservates große Teile des Alltags bestimmt werden, werden nach Außen hin<br />

möglichst ausgeblendet: „Somos um povo só, de várias etnias“, 14 ist ein Satz, der in<br />

diesen Zusammenhängen oft fällt.<br />

Das vor allem von den politischen Eliten gelenkte Bestreben, eine einheitliche<br />

Front zu präsentieren, setzte sich auch in der Projektarbeit für Indios Online fort, allerdings<br />

weniger während meines Aufenthaltes im Dorf als später während des redaktionellen<br />

Prozesses in Zusammenarbeit mit Thydêwá, der die gesammelten Materialien<br />

für die Veröffentlichung im Buch der Pataxó-Hãhãhãe vorbereiten sollte.<br />

Während meiner Zeit im Reservat schlug man mir zwar Interviewpartner vor,<br />

ließ mir aber in der Bearbeitung der Texte <strong>und</strong> der Auswahl der Bilder in der Regel<br />

völlig freie Hand – nicht, weil man meine Fähigkeiten in dieser Hinsicht so schätzte,<br />

sondern viel eher, so schien es mir, aus Desinteresse. 15<br />

Die Art, mit der führende Mitglieder der verschiedenen Fraktionen mir entgegentraten,<br />

war sehr unterschiedlich.<br />

14. Wir sind ein einziges Volk, bestehend aus verschiedenen Ethnien.<br />

15. Andreas Kowalski interpretierte eine von ihm erlebte, in groben Zügen ähnliche Situation bei<br />

den maranhensischen Canela im Rückblick anders: So geschehe dort die kulturspezifische<br />

Aneignung von Neuerungen aus der Welt der Weißen durch die Indianer, wenn sie denn<br />

stattfindet, nicht in der humanitären Zusammenarbeit, sondern erst später, nach Abzug des<br />

Kooperanten. Will der Kooperant etwas an diesem Verfahren ändern, gibt man ihm Recht,<br />

lässt ihm mit der Phrase „Du bist derjenige, der es weiß“ <strong>das</strong> letzte Wort <strong>und</strong> macht daraufhin<br />

weiter wie zuvor. Aber: „‘Du bist derjenige, der es weiß’ bedeutete in einer solchen Situation<br />

eben kein Desinteresse an fremden (Entwicklungs-)Ideen oder eine machtbezogene Unterordnung,<br />

sondern <strong>das</strong> Zugeständnis an die Weißen, <strong>das</strong>s sie ihr eigenes Wissen besitzen <strong>und</strong><br />

damit besser als jeder Canela den Zugang zu Ressourcen finden, die außerhalb der Canela-<br />

Gemeinschaft, ihres Dorfes <strong>und</strong> Territoriums darauf warten, von ihnen angeeignet zu werden.“<br />

(KOWALSKI 2004, S. 217). Eine längerfristige Beobachtung des weiteren Projektverlaufes von<br />

Índios Online könnte womöglich zeigen, inwieweit Kowalskis Beobachtungen auf die Pataxó-<br />

Hãhãhãe übertragbar sind (Dank an Michael Kraus für den Hinweis).

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