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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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Rosenfeld deutet dieses Phänomen erneut unter Rückgriff auf die Theorien<br />

Gilberto Freyres als „brasilianischen Mulattismus“, welcher einen genuin brasilianischen<br />

Fußballstil hervorgebracht habe <strong>und</strong> in dem in gewisser Weise die gesamte<br />

ethnisch-soziale Problematik <strong>und</strong> Geschichte des Landes zu erkennen sei.<br />

Leôni<strong>das</strong> da Silva war der genaue Vertreter dieses Stils, <strong>und</strong> wenn er<br />

zum Idol des ganzen brasilianischen Volkes wurde, <strong>das</strong> ja überwiegend<br />

europäischer Abstammung ist, so war es, weil es in ihm eine ihm wesentlich<br />

geistig-seelische Gebärde ausgedrückt sah, weil es selbst sich<br />

in ihm erhöht <strong>und</strong> in sensationeller Vollkommenheit wiedererkannte.<br />

Tiefe Ressentiments fanden in seinen Triumphen ihre Erlösung, <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong> ganze Volk erlebte in ihm eine befreiende Macht. (165)<br />

Weiterhin dieser Interpretationslinie folgend erläutert Rosenfeld im Anschluss<br />

die vielfältigen Beziehungen des Fußballs mit anderen kulturellen Sphären wie<br />

dem Karneval <strong>und</strong> der von ihm zuvor dargestellten Macumba als alternativem<br />

Kulturraum der farbigen Bevölkerung. 12 Zu letzterem Punkt führt er aus, <strong>das</strong>s sowohl<br />

<strong>das</strong> Fußballspiel selbst als auch sein Umfeld in höchstem Grade ritualisiert<br />

<strong>und</strong> religiös aufgeladen seien.<br />

Das brasilianische Fußballspiel freilich gehört einer modernen Entwicklung<br />

völlig profanen Charakters an. Dennoch spürt man seine geheime<br />

Neigung, sich zu ritualisieren, sein Streben nach Sinnbereichen, die<br />

ihm nicht zuzukommen scheinen. Wo so tiefe Leidenschaften eingesetzt<br />

werden, wo so viel „auf dem Spiel steht“ <strong>und</strong> wo die Göttin<br />

Fortuna einen so entscheidenden Einfluß hat, ist dies kein W<strong>und</strong>er.<br />

Für eine ungeheure Torcida bedeutet der Sieg ihrer Mannschaft, der<br />

sich ja auf die ganze Gruppe überträgt, einen kollektiven Triumph,<br />

einen Zuwachs an Ehre <strong>und</strong> Macht <strong>und</strong> gleichzeitig eine Offenbarung<br />

des glücklichen Laufs der Dinge. (166)<br />

Der Fußball als eine Art Katharsis der von ihren Widersprüchen geprägten<br />

Gesellschaft, die auf dem Platz <strong>und</strong> in der Projektion auf <strong>das</strong> Spiel vorübergehend<br />

die Konflikte lösen oder auflösen kann, die sie in der Wirklichkeit unterschlägt<br />

oder verdrängt. Auch durch diesen Mechanismus ist der außerordentliche <strong>und</strong><br />

herausragende Aufstieg schwarzer Spieler zu „Cracks“ <strong>und</strong> Idolen erst möglich,<br />

da er in von vornherein festgelegten <strong>und</strong> nach außen klar abgeschlossenen Bahnen<br />

verläuft. Bezeichnend hierfür ist der Umstand, <strong>das</strong>s der Aufstieg dieser<br />

Ausnahmespieler durch den Fußball zunächst nur in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgt,<br />

sich aber noch nicht sozial niederschlagen kann:<br />

Ein Irrtum wäre es, anzunehmen, daß der Fußballspieler als solcher<br />

infolge seines Prestiges als Crack im selben Maße auch gesellschaftliche<br />

Anerkennung fände. Dem Idol öffnen sich alle Tore, auch die der<br />

12. Den hohen Erkenntnisgrad dieser Wahrnehmung bestätigen die später aus dem Bereich der<br />

Soziologie heraus ausgeweiteten Untersuchungen Roberto DaMattas zum brasilianischen<br />

Fußball, in denen <strong>das</strong> Spiel <strong>und</strong> Spektakel zum Medium einer gesamtgesellschaftlichen<br />

Analyse wird (vgl. gr<strong>und</strong>sätzlich DAMATTA 1982).

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