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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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graphischen Parallelen des Exils auch erhellende Parallelen im Umgang mit<br />

Deutschland als geliebter, verlorener, niemals zurück gewonnener Heimat sowie<br />

in letzter Konsequenz im Selbstverständnis des Intellektuellen zur ihn umgebenden<br />

Gesellschaft.<br />

So bezeichnete Rosenfeld den Essayisten Thomas Mann als Vorbild für seine<br />

eigene Essayistik, edierte er selbst eine Auswahl Mannscher Essays in portugiesischer<br />

Übersetzung, die postum veröffentlicht wurde (MANN 1988), <strong>und</strong> verfasste<br />

er eine Reihe von Texten über den Landsmann <strong>und</strong> Schicksalsgefährten im Exil,<br />

die verstreut <strong>und</strong> zuletzt in gesammelter Form erschienen. 15 Will man dieser von<br />

Rosenfeld selbst vorgegebenen Analogie noch einen Schritt weiter folgen, so<br />

kann man zugespitzt feststellen, <strong>das</strong>s Rosenfeld, der im Exil nicht die Bequemlichkeiten<br />

des bedeutendsten deutschen Schriftstellers seiner Generation genoss,<br />

sondern sich in einer vollkommen neuen Umwelt ein neues Leben aufbauen<br />

musste, dies im Unterschied zu seinem Vorbild auch im äußersten Sinne wörtlicher<br />

<strong>und</strong> konsequenter tat: Er begann sein Leben nochmals von vorne. Er brachte<br />

die in Berlin begonnene Promotion nicht zu Ende, knüpfte nicht an ihr an<br />

ebenso wenig wie an der unterbrochenen universitären Laufbahn. Stattdessen<br />

ging er nun den ungeb<strong>und</strong>enen Weg auf den neu erarbeiteten Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong><br />

mit neuen Zielen.<br />

„Jüdisches Exil <strong>und</strong> Flucht vor dem Nationalsozialismus sind deterritorialisierende<br />

Bewegungen Europas“ formuliert Ottmar Ette (2001, S. 563), im Zuge seiner<br />

Analyse von Arnold Stadlers Roman Feuerland (1992). Diese Aussage ist zu verstehen<br />

vor Ettes Überlegungen zur zirkulären Struktur dieses Romans (S. 553)<br />

<strong>und</strong> allgemein der europäischen Reiseliteratur mit ihrer wesentlichen Ausrichtung<br />

auf eine schließliche „Rückkehr zum Eigenen“ (S. 60ff), mit der sich<br />

der Kreis von Reise(bewegung) schließen kann. Thomas Manns Exil war sicherlich<br />

von Beginn an auf diese Rückkehr (wenn auch nicht nach Deutschland,<br />

so zumindest in die Alte Welt <strong>und</strong> die Welt der deutschen Sprache) ausgerichtet,<br />

als transitär gestaltet <strong>und</strong> inszeniert. Die Erfahrung Anatol Rosenfelds<br />

schließt diesen Kreis bewusst nicht; er speist „Europa“ in Gestalt seiner<br />

kulturellen Prägung <strong>und</strong> Bildung in die Kultur Brasiliens ein <strong>und</strong> lässt es – wie<br />

auch sich selbst – vom transkulturellen Prozess gegenseitiger Durchdringung<br />

erfassen <strong>und</strong> gestaltetet diesen aktiv mit.<br />

So ist seine Synthese der deutschen <strong>und</strong> europäischen kulturellen Erfahrung<br />

mit derjenigen der neuen Heimat nicht nur als Verbreitung der deutschen<br />

<strong>und</strong> somit Bereicherung der brasilianischen Kultur zu verstehen. Sie<br />

wirkt auf zwei Ebenen auch zurück in die „Alte Welt“, als Vermittlung brasilianischer<br />

Kultur <strong>und</strong> Literatur wie in den hier exemplarisch vorgestellten Beiträgen,<br />

aber gerade auch im am Fremden geschulten <strong>und</strong> von ihm veränderten<br />

Blick auf <strong>das</strong> Eigene, auf sich selbst.<br />

15. Bereits Rosenfelds erste Buchveröffentlichung Doze estudos von 1959 enthielt zwei Essays<br />

über Thomas Mann („Thomas Mann: ironia e mito“ <strong>und</strong> „Julia Mann da Silva Bruhns“, vgl.<br />

ROSENFELD 1959); im Band Texto/Contexto findet sich die Studie „Thomas Mann: Apolo,<br />

Hermes, Dioniso“ (vgl. ROSENFELD 1969); zuletzt erschien 1994 ein gänzlich Thomas Mann<br />

gewidmeter Band (ROSENFELD 1994).<br />

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