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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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Laster Arbeitssucht wird in den Interviews gewarnt. Die allzu große Gewichtigkeit<br />

der Arbeit habe dazu geführt, <strong>das</strong>s andere positive Tätigkeiten vernachlässigt<br />

wurden, wie Spielen, Märchen erzählen oder sogar <strong>das</strong> Lernen. Die Eltern hätten<br />

keine Zeit dafür gehabt, wie folgende Äußerungen belegen:<br />

Märchen erzählen? Da hatten sie gar keine Zeit dafür.<br />

Abendgebet? Tischgebet? Selten mal, <strong>das</strong> mußte immer so hastig, so<br />

schnell alles gehen.<br />

Da musste man <strong>das</strong> Spielen vergessen, musste man an die Arbeit.<br />

Die Frau iss mol schroh uff die Arbeit, lasst nix langs gehe, tut die<br />

Kinner alle an die Arbeit stelle, durfte die Kinner net lerne.<br />

Interessanterweise sind Glaube <strong>und</strong> Gefühle Themen, die nicht so häufig im<br />

Gespräch angeschnitten werden, obgleich sie in den Wandsprüchen öfter<br />

thematisiert werden. Daraus ist aber nicht ohne weiteres auf ein geringes Interesse<br />

für diese Gebiete zu schließen. Eher kann man hier eine gewisse natürliche<br />

Scheu vor heiklen Themen annehmen, wie sie im folgenden Interviewzitat<br />

deutlich wird:<br />

Die Mutter war eine fromme Frau, so wie man es den Kolonisten beigebracht<br />

hatte, fromm zu sein. Es wurde zu Hause aber nicht über<br />

Religion gesprochen, es war kein häufiges Thema.<br />

Im Vergleich zu den Wandsprüchen kann im mündlichen Material im Bereich<br />

4 „Gefühl/Emotionsdarbietung“ eine unterschiedliche Gewichtung der<br />

beiden Tugenden Emotionalität <strong>und</strong> Selbstbeherrschung beobachtet werden.<br />

In den Interviews weist die eher reservierte, kontrollierte Einstellung mehr als<br />

dreimal so viele Belege auf als die emotionelle. Einige Äußerungen<br />

thematisieren <strong>das</strong> Fehlen von Emotionsdarbietung im Elternhaus, wie: „Unser<br />

Haus war sehr karg, sehr trocken“. Im familiären <strong>und</strong> nachbarlichen Umgang<br />

galt es vor allem, Streit <strong>und</strong> Auseinandersetzungen zu vermeiden, wie folgende<br />

Aussage bezeugt:<br />

Da ist man rechter ruhig, dreht sich um <strong>und</strong> geht fort, rechter tut man<br />

gar nichts antworten.<br />

Im Bereich 5 „Einstellung zum Besitz“ werden auch in den Interviews Gastfre<strong>und</strong>lichkeit<br />

<strong>und</strong> Generosität hervorgehoben, z. B.: „Wir hatten immer eine offene<br />

Tür“ oder „Bei uns sinn viele Leut zu Mittag gekommen, sie haben gewusst, <strong>das</strong>s<br />

der Papa tät essen geben“. Besonders die Generosität der Mutter gegenüber Leuten<br />

in der Nachbarschaft, die gerade Hilfe nötig hatten, wird von vielen betont:<br />

Die Mama hot immer im Gorde gearbeit, io, do wor von allem drin, do<br />

konnt man noch fir die ganz Nachborschlait [...] alle hon se Knoblauch<br />

unn Kraut unn Griins unn Rotriewe unn Gellriewe <strong>das</strong> sinn se all bei<br />

uns hole komm, unn nie keen Mill kobriert [nie hat sie was dafür verlangt],<br />

all so geschenkt fir die Nachborschlait, io, wann die in Not wore,<br />

sinn se bei uns komm, hon sich geholt, do wor immer, immer geweest.<br />

Aber auch die komplementäre Tugend Sparsamkeit ist im mündlichen Material<br />

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