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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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jenigen, die ihre Portraits in gedruckter Form noch nicht fertig gestellt hatten,<br />

sollte die Website zum Medium für die Materialsammlung werden: Man stellte sich<br />

vor, <strong>das</strong>s die Indianer Inhalte auf der Internetseite anhäufen <strong>und</strong> zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt davon die besten Beiträge für die Veröffentlichung im Druck<br />

auswählen würden.<br />

Die Rolle des Autors<br />

Die Frage, die vor allem Thydêwá immer wieder in den Mittelpunkt zu stellen<br />

versuchte, war, was es bedeute, Indianer zu sein. In diesem Prozess der Ausarbeitung<br />

eines Konzepts von Indianität waren die Akteure <strong>und</strong> Autoren offiziell die<br />

Indianer selbst; tatsächlich allerdings trug Thydêwá mindestens einen ebensogroßen<br />

Teil zu dem so entstehenden Bild indianischer Kultur bei – <strong>und</strong> ich damit<br />

ebenfalls, wenn auch wegen der Doktrin des Nicht-Eingreifens, des bloßen Beobachtens,<br />

die ich während meiner Ausbildung als Ethnologe verinnerlicht hatte,<br />

eher widerwillig. Ich war in die Reservate der Xukuru-Kariri in Alagoas <strong>und</strong> der<br />

Pataxó-Hãhãhãe in Bahia geschickt worden, um dort Hilfestellung im Umgang mit<br />

der neuen Technologie zu leisten <strong>und</strong> damit für die Veröffentlichung der Broschüren<br />

dieser beiden Gruppen den Weg zu ebnen.<br />

Neben der technischen Beratung aber war ich von indianischer Seite vor<br />

allem als Impulsgeber gefragt, wenn es darum ging, welche Fragen die Jungen<br />

den Alten in Interviews stellen würden, welche Fotos gut waren <strong>und</strong> welche<br />

schlecht, <strong>und</strong> welche Texte in welcher Form auf der Website <strong>und</strong> später im Buch<br />

auftauchen sollten.<br />

Bei den Pataxó-Hãhãhãe, wo die materiellen Aspekte des Projektes (Computer,<br />

Internet, Kamera) bei den Begünstigten auf viel Gegenliebe stießen, der inhaltliche<br />

Teil allerdings zwar Wohlwollen, aber nicht wirklich viel Interesse fand, musste mein<br />

Beitrag zum Entstehen der dokumentarischen Materialien ein noch größerer sein,<br />

so<strong>das</strong>s der Großteil der Fotos <strong>und</strong> Interviews von mir selbst gemacht wurde.<br />

Damit geriet ich in eine Verantwortlichkeit, mit der ich vorher naiverweise<br />

nicht gerechnet hatte: Meine Aufgabe bestand nicht etwa nur darin, zu erklären,<br />

in welchem Moment welcher Knopf an welchem Gerät zu drücken war, sondern<br />

ich selbst sollte mitbestimmen, was für die Projektteilnehmer Indianersein bedeutete<br />

– zumindest in der Öffentlichkeit, aber gewiss nicht ohne Rückwirkung auf die<br />

Realität im Dorf – <strong>und</strong> <strong>das</strong> passte nicht wirklich gut zum „romantischen Diskurs<br />

vom indigenen Protagonisten“, 6 der <strong>das</strong> Projekt umgab <strong>und</strong> den ich offenbar zunächst<br />

nicht als solchen erkannt hatte.<br />

Die Tatsache, <strong>das</strong>s der Ethnologe im Feld nie nur Beobachter sein kann <strong>und</strong><br />

seine Ergebnisse nie nur dokumentarisch sind, ist innerhalb der Wissenschaft kaum<br />

umstritten (vgl. z. B. KOHL [1993] 2000, S. 115-119 oder BARLEY [1997] 2000, S. 7-<br />

16). Mir kam es allerdings so vor, als ob in der besonderen, weil historisch noch<br />

sehr jungen Situation der Suche nach ethnischer Identität <strong>und</strong> Ethnizität der<br />

6. Diese Bezeichnung verwendete Gerlic in einem persönlichen Gespräch, als ich ihm davon<br />

erzählte, <strong>das</strong>s ich Zweifel in Bezug auf meinen zu großen Beitrag zu einem Kulturprodukt<br />

hatte, <strong>das</strong> ja eigentlich offiziell in indianischer Eigenverantwortung entstehen sollte.<br />

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