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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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So oder ähnlich denken nicht wenige <strong>und</strong> geben damit auch ihren Zweifeln<br />

an der Sinnhaftigkeit der Wissenschaft von der kulturellen Differenz Ausdruck,<br />

der Ethnologen sich widmen. Mit fatalistischer Melancholie den bevorstehenden<br />

Untergang aller kultureller Heterogenität anzukündigen, ist schon seit dem frühesten<br />

Anbeginn dessen, was man etwas unscharf unter dem Begriff Globalisierung<br />

zusammenfasst, ein Leitmotiv der diesen Prozess begleitenden Hintergr<strong>und</strong>musik<br />

– ebenso lange allerdings widerspricht die empirische Beweislage diesem düsteren<br />

Ausblick auf die Zukunft der Ethnizität. Insbesondere indigene Völker sind<br />

anderer Meinung. Trotz – oder gerade wegen – der rasant zunehmenden Vernetzung<br />

scheinbar aller Dinge, trotz – oder gerade wegen – der weltweiten Beweglichkeit<br />

von Menschen <strong>und</strong> Bildern werden allerorts ethnische Identitäten neu<br />

<strong>und</strong> schärfer ausformuliert. Kulturelle Differenz beharrt also offenbar durchaus<br />

auf ihrem Platz in einer globalisierten Welt.<br />

Ein besonders prägnantes Beispiel für die wachsende Wahrnehmung ethnischer<br />

Identitäten auf lokaler wie globaler Bühne ist der Nordosten Brasiliens, der<br />

noch bis in die 1990er Jahre hinein zumindest im Hinblick auf seine indigenen<br />

Bewohner <strong>und</strong> deren Kulturen selbst in der brasilianischen Ethnologie weitestgehend<br />

unsichtbar blieb. Dies gilt umso mehr für die Wahrnehmung der Region<br />

durch die brasilianische Öffentlichkeit, die noch heute schwierig davon zu überzeugen<br />

ist, <strong>das</strong>s es richtige Indianer in diesem Gebiet geben soll, <strong>das</strong> bei der Kolonisierung<br />

des Landes durch die Portugiesen an erster Stelle stand <strong>und</strong> nun schon<br />

über 500 Jahre Zivilisierung hinter sich hat.<br />

Dieses Problem haben die Indianer des Nordostens erkannt <strong>und</strong> zu ihrem eigenen<br />

gemacht: In einem komplexen Zusammenspiel westlicher Stereotypen von<br />

Indianität <strong>und</strong> indigenem Bewusstsein von Andersartigkeit konstruieren, rekonstruieren<br />

<strong>und</strong> inszenieren sie Indianer-Sein zum einen für die eigene Gruppe, der<br />

in einer langen Kontaktgeschichte mit der nicht-indianischen Bevölkerung viel<br />

kulturelle Eigenheit mit Gewalt ausgetrieben worden ist, <strong>und</strong> zum andern für eine<br />

Öffentlichkeit, die eigentlich nur bereit ist, an Indianer zu glauben, wenn diese<br />

fremdartige Sprachen sprechen, fast nackt gehen, wie Asiaten aussehen <strong>und</strong> mit<br />

Pfeil <strong>und</strong> Bogen schießen.<br />

Dies geschieht auf verschiedenen Wegen – unter anderem unter Zuhilfenahme<br />

genau der Mittel, die oft gemeinhin als Hauptwerkzeug globaler kultureller<br />

Gleichschaltung angesehen werden, nämlich der modernen Kommunikationstechnologien.<br />

Geschichte des indigenen Nordeste<br />

Paulo Titiá: Als der SPI [Serviço de Proteção ao Índio] noch hier<br />

war, was haben sie da mit euch gemacht?<br />

Dona Maria: Angefangen, uns zu töten, <strong>das</strong> haben sie gemacht! Weil<br />

die fazendeiros uns unseren Platz hier wegnehmen wollten <strong>und</strong> weil<br />

wir ihn nicht hergeben wollten, sind sie gekommen <strong>und</strong> haben Zé<br />

Martinho getötet, haben Manoel meinen Vetter getötet… […]. Sie haben<br />

die Indianer mitgenommen, haben dabei nach ihren Fersen getreten<br />

wie bei Tieren. […] Wir haben schon alle im Busch geschlafen,<br />

<strong>und</strong> die jagunços wollten uns töten, wollten allem ein Ende machen.

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