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Flüchtlinge und das ‚Aushandeln

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Es handelt sich hier um einen Text, der offensichtlich von Mitgliedern der Dorfgemeinschaft<br />

mit anderen Augen gelesen wird als von anderen Besuchern der<br />

Website, <strong>und</strong> er funktioniert in beiden Lesarten: Zum einen als spitzzüngiger Beitrag<br />

zu einer dorfinternen Auseinandersetzung um <strong>das</strong> „richtige“ Indianer-Sein,<br />

von der die Außenwelt nichts weiß, zum anderen um ein selbstbewusstes <strong>und</strong><br />

modernes Protokoll indianischen Kampfgeistes angesichts eines langen <strong>und</strong> entbehrungsreichen<br />

Konfliktes zwischen Kolonisatoren <strong>und</strong> Kolonisierten.<br />

Mit ihrem Austritt aus dem Ouricuri stieß Tânia selbst im eigenen Haus eine<br />

Kontroverse an. Die politischen Gegner der Familie jedoch versuchten, im Dorfrat<br />

eine Art Verfügung zu erwirken, um sie mitsamt ihren Kindern aus dem Dorf<br />

verbannen zu können: Jeder richtige Indianer habe am Ouricuri teilzunehmen,<br />

die evangélicos 12 seien der Feind der indianischen Kultur, <strong>und</strong> den Feind dürfe<br />

man schon gar nicht in der Schule unterrichten lassen, wo er unweigerlich indianische<br />

Kinder dazu indoktriniere, zu weniger indianischen Kindern zu werden.<br />

In der Polemik innerhalb des Dorfes wird die Frage nach dem Indianer-Sein<br />

also anhand einer handvoll unterschiedlich gewichteter Eigenschaften ausgehandelt:<br />

Die Teilnahme am Ouricuri steht in der Regel an erster Stelle, dicht gefolgt<br />

vom Toré – beides Phänomene, die ich dem Bereich der Religion zurechnen<br />

würde, von denen mir allerdings von indianischer Seite oft <strong>und</strong> unaufgefordert<br />

versichert wurde, <strong>das</strong>s es sich nicht um Religion, sondern um Kultur handele;<br />

Religion sei etwas von Außen aufgezwungenes, Kultur dagegen sei coisa do povo. 13<br />

Weitere verwendete Insignien von Indianität sind Pfeife <strong>und</strong> Tabak, <strong>das</strong> Anfertigen<br />

von Kunsthandwerk <strong>und</strong> die politische Arbeit für die „indianische Sache“, die<br />

verschiedene Formen annehmen kann. Je nach Situation stellen verschiedene<br />

Akteure verschiedene Elemente von Indianität in den Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Den Schwerpunkt der Materialien, die wir für Buch <strong>und</strong> Website sammeln sollten,<br />

legten die Xukuru-Kariri jedoch deutlich auf <strong>das</strong> Historische; so war es für sie<br />

zum Beispiel <strong>das</strong> selbstverständlich Naheliegende, Interviews mit den Ältesten durchzuführen.<br />

Es entstand eine Sammlung von Texten, die aus der Perspektive biographischer<br />

Erzählungen unterschiedliche Aspekte des Kampfes um Anerkennung <strong>und</strong><br />

der Landnahmen der Xukuru-Kariri darstellt <strong>und</strong> so vor allem den Anspruch der<br />

Gruppe auf eigenes Land <strong>und</strong> eigene Kultur untermauert; es geht um <strong>das</strong> generationsübergreifende<br />

Bekenntnis zur eigenen indianischen Identität sowie <strong>das</strong> Einfordern<br />

der Anerkennung des indianischen Andersseins auf Seiten der Nichtindianer. Ein<br />

gutes Beispiel für die sich hierbei wiederholenden Motive ist ein Text von Korã:<br />

Unser Leben gestern <strong>und</strong> heute<br />

Vor der Invasion unseres Landes gab es nur Menschen, die zu einer<br />

einzigen Rasse gehörten, aber zu verschiedenen Ethnien. Alle waren<br />

Indianer, aber mit verschiedenen Dialekten, jedoch mit nur einer gemeinsamen<br />

Herkunft. Durch die Invasion wurden wir auseinander gerissen,<br />

<strong>und</strong> wir mussten uns von unseren Ursprüngen entfernen. Weil<br />

12. Gemeint sind „Evangelikale“, protestantische Gruppen neupfingstlerischer Prägung.<br />

13. Eine Sache des Volkes. Diese Sicht der Dinge mag sich unter anderem daraus erklären, <strong>das</strong>s<br />

gerade jesuitische Missionare den Indianern nicht ihre Kultur austreiben wollten, wohl aber<br />

ihre heidnische Religion – wollte ein Brauch beibehalten werden, so hatte er Kultur zu sein.

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