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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Leistungsbegrenzung in der GKV: mögliche Folgen aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen<br />

Dr. Anouschka Strang, AOK-B<strong>und</strong>esverband<br />

Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) gerät finanziell mehr <strong>und</strong> mehr unter Druck. Die Ausgaben <strong>für</strong> Ges<strong>und</strong>heit sind seit Beginn<br />

der 90er-Jahre deutlich angestiegen. Dies ist das Resultat der politischen Abkehr von einer Globalsteuerung im Ges<strong>und</strong>heitswesen.<br />

Ursächlich <strong>für</strong> die enormen Ausgaben sind u.a. Überkapazitäten in nahezu allen Versorgungsbereichen, auf struktureller Ebene die<br />

Abschottung der einzelnen Leistungssektoren sowie auch die Ausnutzung der GKV als Verschiebebahnhof der Probleme anderer<br />

Sozialversicherungszweige. Auf der anderen Seite hat die GKV ein Einnahmenproblem, z.B. durch Massenarbeitslosigkeit oder eine<br />

sinkende Lohnquote. An diesen ordnungspolitischen Ursachen <strong>für</strong> die gegenwärtige Entwicklung in der GKV müssen Reformen<br />

vorrangig ansetzen.<br />

Leistungsbegrenzung – Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen<br />

Bei Ursachenforschung <strong>und</strong> Reformvorhaben wird häufig über Leistungsbegrenzungen diskutiert. Dahinter verbergen sich unterschiedliche<br />

Ansätze. Es werden Leistungseingrenzungen oder -ausgrenzungen genannt, die Einführung, Ausweitung oder Differenzierung<br />

von Zuzahlungen oder Selbstbehalten angesprochen wie auch die Aufteilung in Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Wahlleistungen mit entsprechender<br />

Differenzierung der Beitragssätze (Wahltarife) vorgeschlagen. Hinsichtlich der von den gesetzlichen Krankenkassen zu finanzierenden<br />

Leistungen gibt der Gesetzgeber allerdings nur sehr allgemeine Anhaltspunkte vor. „Die Leistungen müssen ausreichend,<br />

zweckmäßig <strong>und</strong> wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Darüber<br />

hinaus haben „Qualität <strong>und</strong> Wirksamkeit der Leistungen […] dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu<br />

entsprechen <strong>und</strong> den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen“ (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Die tatsächliche Ausgestaltung des<br />

Leistungsgeschehens wird der gemeinsamen Selbstverwaltung, insbesondere dem B<strong>und</strong>esausschuss Ärzte <strong>und</strong> Krankenkassen (<strong>für</strong><br />

ambulante Leistungen) <strong>und</strong> dem Ausschuss Krankenhaus (<strong>für</strong> stationäre Leistungen), überlassen. Nicht zuletzt aufgr<strong>und</strong> der<br />

Therapiehoheit der Ärzte existiert „der Leistungskatalog“ im engeren Sinne eigentlich gar nicht. Öffentliche Forderungen nach einer<br />

„Verkleinerung“ des Leistungskatalogs erscheinen damit unter einem anderen Blickwinkel.<br />

Der Eingriff in den „Leistungskatalog“ ist zudem schwieriger als mitunter anscheinend gedacht. Denn Leistungsdifferenzierungen oder<br />

-ausgrenzungen bringen zahlreiche Detailfragen mit sich. Die Ausgrenzung versicherungsfremder Leistungen aus der GKV wäre zwar<br />

noch relativ leicht umzusetzen, aber schon hier ist es eine Frage der Sichtweise, ob diese Leistungen wirklich als systemfremd anzusehen<br />

sind oder ob sie gerade auch prägendes Element einer solidarischen Krankenversicherung sind. Das Kernproblem aller Diskussionen<br />

um Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Wahlleistungen setzt allerdings schon einen Schritt früher an: Wer hat die Definitionsmacht? Wer entscheidet, wo die<br />

Grenze gezogen wird zwischen solidarischer Gr<strong>und</strong>sicherung <strong>und</strong> <strong>private</strong>r Zusatzsicherung? Ist die Politik in der Lage, entsprechende<br />

Feststellungen zu treffen? Oder soll das die Selbstverwaltung der Krankenkassen oder die gemeinsame Selbstverwaltung im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

leisten? Wie ist der Stellenwert von Bürgern, Versicherten <strong>und</strong> Patienten bei der Leistungsdefinition? Welche Rolle spielen<br />

deren Bedürfnisse, Selbstverantwortung, individuelles Risikoverhalten sowie eine mögliche Fehleinschätzung des künftigen<br />

Leistungsbedarfs? Existieren medizinische Kriterien, anhand derer zwischen Notwendigem <strong>und</strong> Wünschenswertem eindeutig<br />

unterschieden werden kann? Ist es zielführend, der Frage nach Nutzenanalysen oder gar der Betrachtung von Kosten-Nutzen-Analysen<br />

in der Leistungsausgestaltung nachzugehen? Gibt es objektive Kriterien <strong>und</strong> wie ist, mögen sie noch so objektiv sein, deren<br />

gesellschaftliche Akzeptanz? Hier gibt es offensichtlich mehr Fragen als Antworten.<br />

Die Steuerungsalternativen „mehr Geld ins System“, „weniger Leistungen im System“ oder eine Kombination aus beidem suggerieren<br />

darüber hinaus fälschlicherweise, dass in der GKV kein Optimierungspotenzial mehr steckt. Gleichzeitig begünstigen sie vielmehr die<br />

Leistungserbringer als die Versicherten oder Patienten: Im ersten Fall wird der unter den Medizinern zu verteilende Kuchen größer <strong>und</strong><br />

Überkapazitäten können gehalten oder ausgebaut werden. Im zweiten Fall werden die aus der solidarischen Finanzierung ausgegrenzten<br />

Leistungen vom Patienten gegebenenfalls aus der eigenen Tasche oder seiner <strong>private</strong>n Versicherung, zusätzlich zum gesicherten<br />

Einkommen des Arztes aus den Budgets der GKV, gezahlt.<br />

Die AOK spricht sich <strong>für</strong> einen gesetzlich klar umrissenen, einheitlichen Leistungskatalog <strong>für</strong> die GKV aus, der nicht zuletzt auch eine<br />

unerlässliche Voraussetzung <strong>für</strong> den – die solidarische Finanzierung sichernden – Risikostrukturausgleich (RSA) darstellt. Die<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Entscheidung über den Umfang dieses Leistungskatalogs bleibt dabei unberührt: Was ist medizinisch sinnvoll <strong>und</strong><br />

notwendig? Keinesfalls darf die politische Diskussion um eine Aufteilung des Leistungskatalogs der GKV in Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Wahlleistungen<br />

zur Ausgrenzung medizinisch notwendiger Leistungen aus dem Leistungskatalog führen. Allerdings sollten gesamtgesellschaftliche<br />

Leistungen auch gesamtgesellschaftlich, also über das Steuersystem, finanziert werden.<br />

Alternative: Wettbewerbliche Gr<strong>und</strong>orientierung der GKV ...<br />

Im Ergebnis ist die Globalsteuerung mit einer wettbewerblichen Gr<strong>und</strong>orientierung in der GKV die Alternative zur derzeitig populären<br />

diskretionären Ges<strong>und</strong>heitspolitik. Wettbewerb im deutschen Ges<strong>und</strong>heitssystem ist seit langem ein wesentliches Strukturmerkmal. Bereits<br />

mit dem Ges<strong>und</strong>heitsreformgesetz aus dem Jahre 1988 <strong>und</strong> dem Ges<strong>und</strong>heitsstrukturgesetz aus dem Jahre 1992 sind die<br />

Wettbewerbselemente in der GKV eingeführt bzw. verstärkt worden. Damit ist die wettbewerbliche Gr<strong>und</strong>orientierung als Voraussetzung<br />

<strong>für</strong> die Ordnung der GKV neben den klassischen Strukturmerkmalen bedarfsgerechte Versorgung, Solidarität, Parität <strong>und</strong><br />

Selbstverwaltung anzusehen. Schrittweise sind z.B. die Wahlmöglichkeiten <strong>für</strong> Versicherte zwischen den Krankenkassen erweitert<br />

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