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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Nach Sinn <strong>und</strong> Zweck dieser Reaktion müsste ihre Bemessung allein aus erzieherischen Überlegungen geschehen. Eine Überschreitung<br />

der Tatschuld ist dabei aber nicht zulässig. 21 Die Jugendstrafe wegen schädlicher Neigung ist in den Mittelpunkt der jugendstrafrechtlichen<br />

Sanktionskritik gerückt. Ihre Verhängung ist nicht nur stigmatisierend, sondern auch präventiv unzulänglich. 22 Ihre Abschaffung<br />

<strong>und</strong> die Einführung einer nicht strafenden Erziehungsmaßnahme an ihrer Stelle wird schon lange gefordert.<br />

b. Schwere der Schuld<br />

Auf die Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld will man überwiegend nicht verzichten. Schwere der Schuld bemisst sich nach:<br />

• den objektiven schweren Tatfolgen (z.B. Tod eines Menschen),<br />

• dem Grad der Schuldfähigkeit,<br />

• Motiven des Täters,<br />

• Nachtatverhalten.<br />

Die Schuld ist Einzeltatschuld, nicht Charakterschuld. Die Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld ist damit die einzige wirkliche, d.h.<br />

Schuld vergeltende Kriminalsanktion des Jugendstrafrechts. Bei ihrer Bemessung sollten erzieherische Gründe daher keine Rolle<br />

spielen, 23 sondern allein die Schuld des jugendlichen Täters. Eine Obergrenze der Strafzumessung bilden dabei die Strafrahmen des<br />

Erwachsenenstrafrechts. Jugendstrafe darf nicht allein aus generalpräventiven Gründen zur Abschreckung anderer verhängt werden.<br />

Die gesetzliche Mindestdauer beträgt bei beiden Arten von Jugendstrafe 6 Monate, die Höchstdauer bei Jugendlichen 5 Jahre, bei<br />

Verbrechen, die nach dem StGB mit einer Höchststrafe von mehr als 10 Jahren bedroht sind, 10 Jahre. Bei Heranwachsenden ist das<br />

Höchstmaß immer 10 Jahre.<br />

c. Sanktionspraxis<br />

Jugendstrafe wurde 2001 bei 17.722 nach Jugendstrafrecht Verurteilten verhängt (siehe Tabelle). Das sind bei einer Gesamtzahl von<br />

96.675 Verurteilungen 18,4 %. 11.168 Jugendstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt (63 %). 15.823 Jugendstrafen lauteten bis zu zwei<br />

Jahren, waren damit aussetzungsfähig, 1.899 Jugendstrafen lauteten auf über zwei Jahren, 618 Jugendstrafen auf über drei <strong>und</strong> 81 Jugendstrafen<br />

auf 5 bis 10 Jahren. 6554 Verurteilte erhielten damit eine nicht ausgesetzte Jugendstrafe, das sind 6,8 % aller Verurteilten.<br />

Tabelle: Höhe der Jugendstrafe<br />

Verurteilte % aller zu Jugendstrafe Verurteilten % aller Verurteilten Aussetzung z. Bewährung %<br />

6 Monate 2952 16,7 % 3,1 % 2458 83,3 %<br />

6-9 Monate 3116 17,5 % 3,2 % 2530 81,2 %<br />

9-12 Monate 3844 21,7 % 4,0 % 2793 72,6 %<br />

1-2 Jahre 5911 33,4 % 6,1 % 3387 57,3 %<br />

2-3 Jahre 1281 7,2 % 1,3 % - -<br />

3-5 Jahre 537 3,0 % 0,6 % - -<br />

5-10 Jahre 81 0,5 % 0,1 % - -<br />

insgesamt 17722 100 % 18,4 % (von 96675) 11168 63,0 %<br />

Quelle: Statist. B<strong>und</strong>esamt, Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 3, Strafverfolgung, Wiesbaden 2003, S. 64.<br />

Im letzten Jahrzehnt ist die Anwendung der vollstreckbaren Jugendstrafe deutlich <strong>und</strong> kontinuierlich gestiegen. Die absoluten<br />

Inhaftierungszahlen im Jugendstrafvollzug betrugen 1992 3.898, im Jahre 2000 bereits 7.396. 24 Die Gefangenenraten im Jugendstrafvollzug<br />

(pro 100000 der 15- bis25-jährigen Bevölkerung) liegen zwischen 52,4 (Hamburg) <strong>und</strong> 148,4 (Mecklenburg-Vorpommern).<br />

Die Unterschiede in der Anwendung der Jugendstrafe sind in den einzelnen B<strong>und</strong>esländern also enorm. Insgesamt ergibt sich ein deutliches<br />

Ost-West-Gefälle beim Jugendstrafvollzug. 25<br />

d. Jugendstrafvollzug<br />

Ein spezielles Problem im Zusammenhang mit der Jugendstrafe ist das Fehlen einer gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> den Jugendstrafvollzug.<br />

Zwar bieten die §§ 91, 92, 110, 115 JGG ein Gr<strong>und</strong>gerüst, aber zahlreiche eingriffsintensive Aspekte des Jugendstrafvollzugs sind gesetzlich<br />

nicht geregelt; dazu gehört fast der gesamte Vollzugsalltag, etwa Postkontrolle, Freigang, Besuch <strong>und</strong> Disziplinarmaßnahmen. Ihre Regelungsgr<strong>und</strong>lage<br />

bilden die B<strong>und</strong>eseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug, die nicht Gesetzesrang haben.<br />

Eine ähnliche Situation führte im Erwachsenenbereich zu Beginn der 70er-Jahre dazu, dass das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht dem<br />

Gesetzgeber eine Frist setzte, binnen der ein Strafvollzugsgesetz erlassen werden musste. Das Resultat war das Strafvollzugsgesetz<br />

(StrVollzG), das am 1.1.1977 in Kraft trat. Für den Jugendbereich wurden zwar verschiedene Anläufe unternommen, ein entsprechendes<br />

Gesetz zu erarbeiten, sie führten bisher aber zu keinem Ergebnis. Nicht wenige Stimmen halten den Jugendstrafvollzug ohne<br />

gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage daher <strong>für</strong> verfassungswidrig. 26<br />

21) Siehe dazu Schaffstein/Beulke, S. 163 f.<br />

22) Siehe nur Streng S. 69, 81 f. m.w.N.<br />

23) Anders noch BGHSt 15, 224.<br />

24) Sonnen, S. 70.<br />

25) Dünkel/Lang, S. 20 ff.<br />

26) Siehe dazu den Beschluss des AG Herford v. 13.4.2001 mit einem Normenkontrollantrag an das BVerfG, der mit Beschluss vom 21.12.2001 <strong>für</strong> unzulässig erklärt<br />

wurde, beides dokumentiert in StV 2002, S. 455–463, sowie Binder, StV 2002, S. 452.<br />

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