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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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<strong>und</strong> <strong>private</strong>s Engagement stehen in den USA folglich im Mittelpunkt der individuellen Absicherung gegen soziale Risiken, während<br />

<strong>öffentliche</strong> Sozialleistungen eine – notwendige – Ergänzung darstellen.<br />

Das soziale Sicherungssystem der USA lässt sich vereinfachend in Versicherungen <strong>und</strong> Hilfen unterscheiden (vgl. Eichenhofer 1990,<br />

Murswieck 1998, Seeleib-Kaiser 1993). Die Renten- <strong>und</strong> die Krankenversicherung <strong>für</strong> Ältere bilden den Kern des nationalen US-amerikanischen<br />

Sozialversicherungssystems. Die Rentenversicherung gewährleistet keine Status-, sondern allenfalls eine Gr<strong>und</strong>sicherung.<br />

Da die Rentenversicherung beitragsfinanziert ist, erfreut sie sich einer hohen politischen Akzeptanz. Die Absicherung des Krankheitsrisikos<br />

erfolgt in den USA in der Regel durch den Abschluss einer <strong>private</strong>n – häufig betriebsbezogenen – Krankenversicherung, da es mit<br />

Ausnahme der Krankenversicherung <strong>für</strong> Ältere <strong>und</strong> auch Behinderte (Medicare) keine gesetzliche Krankenversicherungspflicht gibt. Das<br />

Fehlen einer Krankenversicherungspflicht hat zur Folge, dass größere Bevölkerungsgruppen unzureichend oder gar nicht versichert sind.<br />

Diese Versicherungslücke wird auch nicht durch die basalen medizinischen Leistungen im Rahmen des entsprechenden Sozialhilfeprogramms<br />

(Medicaid) geschlossen. Gleichwohl sind die <strong>öffentliche</strong>n Krankenversicherungsleistungen (Medicare <strong>und</strong> Medicaid) als<br />

armuts-präventive Maßnahmen von erheblicher Bedeutung. Als weitere Sozialversicherungen sind die Arbeitslosen- <strong>und</strong> die Unfallversicherung<br />

wichtig, die aber in die Gesetzgebungskompetenzen der einzelnen B<strong>und</strong>esstaaten fallen, so dass es in den USA in diesen<br />

Sozialversicherungszweigen keine einheitlichen nationalen Standards gibt (einführend Murswieck 1998, gr<strong>und</strong>legend Eichenhofer 1990).<br />

Sozialstaatliche Hilfen – die Welfare Reform<br />

In den USA wurden Sozialhilfeleistungen immer unter den Bedingungen einer die Gesellschaft dominierenden Erwerbsorientierung<br />

in der Regel <strong>für</strong> allein erziehende Mütter gewährt, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Erziehungspflichten graduell <strong>und</strong> temporär von der<br />

Notwendigkeit zur Erwerbsarbeit frei gestellt werden sollten. Mit der programmatischen Ankündigung von William J. Clinton im<br />

Präsidentschaftswahlkampf "to end welfare as we know it" <strong>und</strong> der entsprechenden Neuregelung der Sozialhilfe im Jahre 1996 gibt es<br />

– <strong>und</strong> darin besteht die gravierende Änderung – in den USA keinen b<strong>und</strong>esweit einheitlichen <strong>und</strong> zeitlich unbegrenzten Rechtsanspruch<br />

auf Sozialhilfe <strong>für</strong> allein erziehende Mütter mehr (vgl. Gebhardt 1998). Gleichzeitig ist zu fragen – so Uwe Willke (2002) –,<br />

ob mit in der Abschaffung von sozialstaatlich definierten <strong>und</strong> arbeitsmarktfernen Sondergruppen, wie allein erziehenden Müttern<br />

<strong>und</strong> deren Integration in den Erwerbsarbeitmarkt, eine konsequente Weiterentwicklung der US-amerikanischen Erwerbsgesellschaft<br />

vorangetrieben wird.<br />

Soziale Hilfen<br />

Die sozialen Hilfen sind ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Sicherungssystems der USA. Im Unterschied zur deutschen Sozialhilfe<br />

setzen sie sich aus einer Vielzahl von B<strong>und</strong>es-, Länder- <strong>und</strong> Kommunalprogrammen zusammen, die immer wieder erheblichen politischen<br />

Einflussnahmen unterliegen. Im Kern handelte es sich um vier national gültige, bedarfsgeprüfte, steuerfinanzierte <strong>und</strong> zielgruppenbezogene<br />

Sozialhilfeprogramme, die – im Unterschied zum deutschen B<strong>und</strong>essozialhilfegesetz – relativ häufig modifiziert wurden <strong>und</strong> werden:<br />

• Aid for Families With Dependent Children (AFDC): Dieses Programm gewährte bis 1996 finanzielle Leistungen <strong>für</strong> bedürftige<br />

Familien bzw. allein erziehende Mütter mit Kindern: Im Kern handelt es sich somit um kinderbezogene Sozialhilfeleistungen. Dieses<br />

Sozialhilfeprogramm stand im Mittelpunkt der Welfare Reform <strong>und</strong> löste Temporary Assistance for Needy Families (TANF) ab,<br />

deren Verpflichtung zur Erwerbsarbeit <strong>und</strong> zeitliche Befristung Anlass zu massiver Kritik boten.<br />

• Im Rahmen des Supplement Security Income (SSI) werden finanzielle Mittel <strong>für</strong> bedürftige alte <strong>und</strong> <strong>für</strong> behinderte Menschen<br />

bereitgestellt.<br />

• Das Food-Stamps-Programm stellt Lebensmittelhilfen <strong>für</strong> bedürftige Familien bereit.<br />

• Medicaid gewährleistet eine minimale Krankenversorgung <strong>für</strong> Arme.<br />

Geringes Leistungsvolumen<br />

Diese nationalen Sozialhilfeprogramme werden durch zusätzliche Sozialhilfemaßnahmen der einzelnen B<strong>und</strong>esstaaten <strong>und</strong> Kommunen<br />

ergänzt <strong>und</strong> durch steuerpolitische Maßnahmen wie den Earned Income Tax Credit, d.h. <strong>öffentliche</strong> Zuschüsse <strong>und</strong> Steuerermäßigungen<br />

<strong>für</strong> erwerbstätige, aber dennoch einkommensschwache Familien (Working Poor), flankiert. Betrachtet man die Leistungsseite<br />

dieser Programme, so ist aber festzuhalten, dass die sozialen Hilfen weder bedarfsdeckend noch existenzsichernd sind, so dass die Mehrzahl<br />

der LeistungsempfängerInnen in den USA unterhalb der offiziellen Armutsgrenze lebt (weiterführend Hanesch 1997).<br />

Trotz dieser eher geringen <strong>und</strong> lückenhaften Leistungen waren die sozialen Hilfen immer wieder Gegenstand restriktiver politischer<br />

Strategien. Die Gründe hier<strong>für</strong> sind vielschichtig. Nicht zuletzt aber sind steuerfinanzierte soziale Hilfen ohne verbindliche Gegenleistungen<br />

in einer erwerbszentrierten Gesellschaft immer wieder Gegenstand politischer Auseinandersetzungen <strong>und</strong> populistischer<br />

Anfeindungen – bis hin zur Diskriminierung der Betroffenen als „unwürdige“ Arme (vgl. Katz 1989). Die Kritik an den sozialen Hilfen<br />

mündete 1996 in die Welfare Reform, die im Wesentlichen auf eine Beendung des unbefristeten Rechtsanspruches auf Leistungen im<br />

Rahmen der Aid for Families With Dependent Children (AFDC) bzw. auf deren Ersetzung durch die befristeten Hilfen <strong>für</strong> bedürftige<br />

Familien (Temporary Aid for Needy Families/TANF) abzielte. Daneben hat die Welfare Reform auch zur Folge, dass die Leistungen<br />

des Food-Stamps-Programms reduziert wurden.<br />

Die Welfare Reform geht auf die Initiative der Clinton-Administration zurück, wurde von zahlreichen republikanischen <strong>und</strong> demokratischen<br />

Gouverneuen unterstützt <strong>und</strong> fand letztlich im Kongress eine breite Zustimmung bei Republikanern <strong>und</strong> auch großen Teilen der<br />

Demokratischen Partei (vgl. Gebhardt 1998, Wieseman 1996). Die politischen Motive zur Initiierung <strong>und</strong> Unterstützung der Welfare<br />

Reform sind dementsprechend heterogen. So wurde von Seiten der Republikaner die Meinung vertreten, dass die Sozialhilfe gar nicht<br />

in der Lage sei, soziale Probleme zu lösen, sondern vielmehr „schädliche“ soziale Abhängigkeiten schaffen würde. Sie kämpften mit<br />

anti-staatlichen Slogans ("big government") erstens <strong>für</strong> ein Ende der nationalstaatlichen Sozialhilfe <strong>und</strong> eine Kompetenzübertragung<br />

auf die einzelnen B<strong>und</strong>esstaaten sowie zweitens <strong>für</strong> verhaltenssteuernde Maßnahmen, die SozialhilfeempfängerInnen, insbesondere die<br />

viel zitierten minderjährigen Mütter, wieder auf den „Pfad der Tugend“ zurückbringen sollten. Die Clinton-Administration hingegen<br />

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