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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Erfahrung <strong>und</strong> Arbeitsansätze der Schweiz mit der interkulturellen Öffnung der Altenhilfe<br />

Die Auswirkungen der Gastarbeiterpolitik im Alter<br />

Paul Sütterlin, stellvertretender Leiter des Sekretariats der Eidgenössischen Ausländerkommission in Bern<br />

Rotationspolitik in der Einwanderungspolitik <strong>und</strong> verzögerte Integration<br />

Während Jahrh<strong>und</strong>erten war die Schweiz ein klassisches Auswanderungsland <strong>für</strong> Wirtschaftsmigranten, im Unterschiede zu den Flüchtlingen,<br />

welche seit den Religionskriegen der frühen Neuzeit in der Schweiz ein mehr oder weniger offenes Immigrationsland fanden.<br />

Das Blatt wendete sich erst, als mit der Industrialisierung <strong>und</strong> dem damit verb<strong>und</strong>enen Bauboom des ausgehenden 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die<br />

Schweizer Wirtschaft zum ersten Mal mehr Arbeitskräfte brauchte, als sie selber stellen konnte. Zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts zählte<br />

die Schweiz eine beträchtliche Anzahl ausländischer Bewohner, in Zürich betrug die Ausländerzahl ungefähr gleichviel wie heute.<br />

Aus jener Zeit stammt übrigens auch der Vorschlag, Ausländer nach zwei Jahren Anwesenheit in Zürich einzubürgern, damit deren Zahl<br />

nicht zu gross würde. Herkunftsländer der damaligen Einwanderer waren hauptsächlich Deutschland <strong>und</strong> Italien.<br />

Der Erste Weltkrieg brachte dann diese Bewegung zum Erliegen <strong>und</strong> sowohl die Zwischenkriegszeit mit der tiefen Weltwirtschaftskrise<br />

als auch noch viel mehr die Zeit des Zweiten Weltkrieges liess die Anzahl auf einem tiefen Niveau verharren. Das änderte sich erst<br />

nach dem 2. Weltkrieg wieder.<br />

Obwohl die Schweiz schon rasch nach dem 2. Weltkrieg eine steigende Zahl ausländischer Arbeitskräfte beschäftigte, wurde die<br />

Arbeitskräfteimmigration lange Zeit als vorübergehendes Phänomen erachtet. Die Politik der Arbeitgeber <strong>und</strong> Behörden war darauf ausgerichtet,<br />

die ausländischen Arbeitskräfte als Konjunkturpuffer zu behandeln. An eine permanente Einwanderung dachte kaum jemand,<br />

auch die Betroffenen selber nicht, <strong>und</strong> im Vordergr<strong>und</strong> stand eine gezielte Rotationspolitik. Der Status des Saisonarbeiters wurde zu einem<br />

wichtigen Eckpfeiler der Arbeitsmarktpolitik.<br />

Erst nach 1950 stieg die Zahl von Jahresaufenthalter an, aber auch bei Jahresaufenthaltern war die jährliche Rotation sehr hoch. 1959<br />

waren erst 25 % der Jahresaufenthalter länger als drei Jahre in der Schweiz wohnhaft. Obwohl sich die Rotationspolitik in den Hochkonjunkturjahren<br />

rasch als illusorisch erwies <strong>und</strong> in den 60er-Jahren immer klarer wurde, dass die Schweiz permanent auf ausländische<br />

Arbeitskräfte angewiesen sein würde, hielt die Schweiz an ihrer Rotationspolitik fest <strong>und</strong> weigerte sich standhaft, sich als „Einwanderungsland“<br />

zu verstehen. Entsprechend wurden Niederlassung, Familiennachzug <strong>und</strong> soziale Integration erst mit beträchtlicher<br />

Verzögerung akzeptiert. Diese jahrelang gepflegte Rotationspolitik <strong>und</strong> die verzögerte Akzeptanz der Einwanderung als permanente<br />

Entwicklung hat die sprachliche <strong>und</strong> soziale Integration der ersten Einwanderergenerationen wesentlich verzögert <strong>und</strong> erschwert. Viele<br />

der heute ins AHV-Rentenalter tretenden ausländischen Arbeitskräfte haben sich aus diesen Gründen auch wenig oder erst spät um eine<br />

sprachliche Integration bemüht. Viele ausländische Frauen <strong>und</strong> Männer hegten Rückkehrwünsche auch lange nachdem eine Rückkehr<br />

faktisch unrealistisch geworden war. Die Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsbiographien der ersten Migrationsgeneration waren zudem oft sehr gebrochen<br />

<strong>und</strong> diskontinuierlich (z.B. Beginn als Saisonarbeiter, Trennung von Familie, später Niederlassung <strong>und</strong> Familiennachzug).<br />

Heimatstaaten der Arbeitsimmigranten waren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts vor allem Italien, anschliessend dann auch<br />

Spanien <strong>und</strong> nochmals später Portugal. Also alles Staaten, die heute der EU angehören. Als die Konjunktur in den Staaten Südeuropas<br />

anzog, standen auch in diesen Ländern vermehrt Arbeitsplätze zur Verfügung, der Lebensstandard stieg <strong>und</strong> der Drang zur Auswanderung<br />

liess nach. Da die Nachfrage in der Schweiz aber noch immer stieg, z.T. wegen der guten Konjunkturlage, z.T. aus Gründen der<br />

Arbeitszeitverkürzung, musste die Schweiz ihre Arbeitskräfte von immer weiter herholen. So lösten mit der Zeit Türken, Jugoslawen –<br />

als es Jugoslawien noch gab – <strong>und</strong> Menschen aus Sri Lanka jene aus Südeuropa ab.<br />

Vorurteile <strong>und</strong> Stereotypen selbst gegenüber Ausländern aus benachbarten Ländern waren in der Schweiz an der Tagesordnung.<br />

Fremdenfeindliche Reaktionen haben namentlich in den 60er-Jahren die soziale Integration auch italienischer Arbeitskräfte <strong>und</strong> Familien<br />

sichtbar verhindert. Politische Vorstöße zur rechtlichen <strong>und</strong> sozialen Integration der in der Schweiz wohnhaften AusländerInnen<br />

wurden bisher meist massiv verworfen (so wurde etwa 1981 die „Mitenand“-Initiative, welche eine weitgehende soziale <strong>und</strong> rechtliche<br />

Gleichstellung von ausländischer <strong>und</strong> schweizerischer Wohnbevölkerung verlangte, mit 84 % Nein-Stimmen verworfen).<br />

Trotzdem gewann dann in den neunziger Jahren die Integrationsfrage nach <strong>und</strong> nach an politischem Gewicht. Die größte Arbeitslosigkeit<br />

seit der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre hatte die ausländische Bevölkerung in besonders hohem Maße getroffen. Die<br />

Folgen langjähriger Versäumnisse in der Integrationsförderung wurden offensichtlich <strong>und</strong> belasteten entsprechend die schweizerischen<br />

Sozialinstitutionen. Und, in Klammern sei’s gesagt, damit wurde es vielen klar, dass die Integration der ausländischen MitbewohnerInnen<br />

<strong>und</strong> Mitbewohner nicht nur diesen, sondern auch der schweizerischen Bevölkerung <strong>und</strong> dem schweizerischen Staat zugute<br />

gekommen wäre. Die MigrantInnen bangten im Übrigen nicht nur um ihre Arbeitsplätze, sondern auch um ihre Anwesenheitsbewilligungen,<br />

denn die Aufenthaltserlaubnis ist in der Schweiz wesentlich an den Aufenthaltszweck geb<strong>und</strong>en. Von einem Verlust betroffen<br />

waren zur Hauptsache Jahresaufenthalter, aber auch Niedergelassene. Die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise <strong>und</strong> Rückkehr in die<br />

Heimat war im Vergleich zu den siebziger Jahren wesentlich kleiner geworden, denn die Konjunktur war natürlich auch in den<br />

Heimatländern zurückgegangen. Soweit fremdenpolizeiliche Wegweisungsverfügungen überhaupt in Betracht gezogen werden<br />

konnten, waren sie in aller Regel nicht unproblematisch. Auch die anhaltenden Diskussionen um Asylfragen tangierten immer wieder<br />

die ArbeitsmigrantInnen, zumal Fragen von Arbeitsmigration <strong>und</strong> Asylfragen sich oft überlappen <strong>und</strong> die Bevölkerung kaum je zu einer<br />

differenzierten Betrachtung <strong>und</strong> Meinungsbildung in der Lage ist.<br />

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