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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Erste Überlegung zum Reformbedarf in der Pflegeversicherung aus Sicht der Kommunen<br />

Ursula Friedrich, Beigeordnete beim Deutschen Landkreistag<br />

Der bisher weitgehendste Reformvorschlag zur Pflegeversicherung ist, die soziale Pflegeversicherung durch ein bedarfs- <strong>und</strong> einkommensorientiertes<br />

Pflegeleistungsgesetz, das aus dem allgemeinen Steueraufkommen zur finanzieren wäre, zu ersetzen. Durch steigende<br />

Pflegekosten <strong>und</strong> Zunahme der Pflegebedürftigen werden die gedeckelten Leistungsbeträge der Pflegeversicherung immer weniger den<br />

tatsächlichen Pflegeaufwand abdecken. Bei einer solchen Entwicklung werden immer mehr Pflegebedürftige Eigenleistungen aus ihrem<br />

Renteneinkommen oder Vermögen zu erbringen haben bzw. auf ergänzende Sozialhilfeleistungen angewiesen sein. Als Vorteile eines<br />

Leistungsgesetzes gegenüber einer sozialen Pflegeversicherung werden vor allem die Möglichkeit der Durchsetzung einer strikten<br />

Bedarfsorientierung der Leistungen <strong>und</strong> ein Abbau von Bürokratie durch die Verortung der Zuständigkeit bei den Kommunen gesehen.<br />

Damit könnten Leistungen der Sozialhilfe, der Gr<strong>und</strong>sicherung <strong>und</strong> der Pflege in einer Hand gebündelt werden. Den Kommunen würde<br />

mit der neuen Aufgabe verstärkt obliegen, sich um ein funktionierendes soziales Umfeld <strong>und</strong> präventive Altenhilfe <strong>und</strong> Altenpflegeangebote<br />

zu kümmern, was zu einer deutlichen Reduzierung des Pflegeaufwandes führen könnte.<br />

Aus kommunaler Sicht ist einem solchen Ansinnen, die soziale Pflegeversicherung durch ein steuerfinanziertes Leistungsgesetz zu<br />

ersetzen, eine deutliche Absage zu erteilen. Gegenwärtig ist keine realisierbare Alternative zur sozialen Pflegeversicherung in Sicht. Im<br />

Einzelnen sprechen folgende Argumente gegen eine solche „Radikalreform“:<br />

• Der Ablösung der sozialen Pflegeversicherung durch ein steuerfinanziertes Pflegeleistungsgesetz fehlt es, allem voran <strong>und</strong> ungeachtet<br />

sonstiger Kritik, <strong>für</strong> seine Umsetzung an einer Absicherung der Finanzierung. Allein durch die Verlagerung von beitragsfinanzierten<br />

Sozialleistungen in die Steuerfinanzierung würde weder <strong>für</strong> die Wirtschaft noch <strong>für</strong> die Arbeitnehmer eine Entlastung zu<br />

verzeichnen sein. Die defizitären <strong>öffentliche</strong>n Haushalte können weitere Soziallasten, schon gar nicht in Höhe von 17,5 Milliarden<br />

Euro verkraften. Steuererhöhungen oder neue Steuern würden die konjunkturelle Lage weiter verschlechtern, so dass schon aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> ein solcher Vorschlag wenig Realisierungschancen hat.<br />

• Mit Einführung der sozialen Pflegeversicherung, am 1. April 1995 <strong>für</strong> ambulante Leistungen <strong>und</strong> am 1. Juli 1996 <strong>für</strong> stationäre<br />

Leistungen, ist die Eigenverantwortung der Pflegebedürftigen <strong>und</strong> ihre Entscheidungsfreiheit über die pflegerischen Leistungen<br />

wesentlich gestärkt worden. Dies wird aus folgendem Zahlentableau deutlich:<br />

Bei In-Kraft-Treten der Pflegeversicherung haben die Träger der Sozialhilfe insgesamt ca. 9 Milliarden Euro (17,5 Milliarden DM)<br />

verausgabt, die sich bis zum Jahr 2001 auf 2,9 Milliarden Euro <strong>für</strong> ca. 330.000 Hilfeempfänger reduzierten. Durch die soziale Pflegeversicherung<br />

sind heute nur noch 5 % der Pflegebedürftigen von Sozialhilfeleistungen zur häuslichen Pflege abhängig <strong>und</strong> im<br />

stationären Bereich hat sich das Verhältnis von Selbstzahlern <strong>und</strong> Sozialhilfebedürftigen von 40 : 60 umgekehrt. Damit hat die Pflegeversicherung<br />

einen durchschlagenden Erfolg des Gr<strong>und</strong>satzes ambulant vor stationär bewirkt. Eine solche Aktivierung der Pflegebereitschaft<br />

des häuslichen Umfeldes <strong>und</strong> der Selbsthilfe wäre mit einem bedarfsabhängigen, steuerfinanzierten Leistungssystem kaum<br />

möglich gewesen. Deshalb sollte bei Reformüberlegungen weiter geprüft werden, wie diese überwiegende Tendenz zur häuslichen<br />

Pflege verstärkt <strong>und</strong> inwieweit Elemente der ambulanten Pflegeversicherungsleistungen, die Ursache dieses Erfolgs sind, auf den<br />

Anspruch auf stationäre Leistungen übertragen werden können.<br />

• Die Frage der Nachhaltigkeit der Absicherung des Pflegerisikos kann mit einem Versicherungssystem besser als mit einem steuerfinanzierten<br />

Leistungssystem gelöst werden. Die Sozialversicherungssysteme haben nicht nur zwei Weltkriege funktionsfähig<br />

überstanden <strong>und</strong> entstandene Anwartschaften <strong>und</strong> Ansprüche erfüllt, sondern sie haben auch die Herausforderung aus der Wiedervereinigung<br />

beispielhaft bewältigt. Ein steuerfinanziertes System ist dem gegenüber viel stärker von der aktuellen Wirtschafts- <strong>und</strong><br />

Haushaltslage <strong>öffentliche</strong>r Kassen abhängig <strong>und</strong> entsprechenden Anpassungen <strong>und</strong> Kürzungen ausgesetzt.<br />

• Die kommunalen Haushalte wurden zwar mit Einführung der Pflegeversicherung in Höhe von ca. 6 Milliarden Euro von den Ausgaben<br />

der Hilfe zur Pflege entlastet, die sie jedoch mindestens bis zur Hälfte an die Länder <strong>für</strong> die Investitionsfinanzierung von<br />

Pflegeeinrichtungen abgeben mussten. Diese Entlastung der kommunalen Haushalte hat jedoch die heutige dramatische Finanzkrise,<br />

die vielfältige Ursachen, insbesondere in wegbrechenden Steuereinnahmen nicht verhindern können. Spiegelbild der aufgelaufenen<br />

Haushaltsfehlbeträge ist, dass immer mehr Anteile der Pflichtaufgaben über Kassenkredite finanziert werden. Bei dieser<br />

Finanzsituation können neue Aufgaben, die mit Wegfall der Pflegeversicherung auf die kommunale Ebene zukämen, ohne die da<strong>für</strong><br />

erforderliche Finanzausstattung nicht wahrgenommen werden. Deshalb müssen Überlegungen zu einer Systemveränderung bei der<br />

Absicherung des Pflegerisikos die notwendige Absicherung der Finanzierung beinhalten.<br />

Nachdem es derzeit keine realisierbare oder realistische Alternative zur Pflegeversicherung gibt, ist diese in folgenden Punkten den<br />

Erfordernissen der Praxis anzupassen:<br />

Aufgabenangemessene Beteiligung der Kommunen<br />

• Die Träger der Sozialhilfe sind bei den nach dem Pflegeversicherungsgesetz zu schließenden <strong>Verein</strong>barungen <strong>und</strong> in der Schiedsstelle<br />

nach dem SGB XI nicht angemessen, d.h. entsprechend ihrer Kosten- <strong>und</strong> Verantwortungslast, vertreten. Die vom Gesetzgeber<br />

zuerkannte Stellung entspricht schon gar nicht der wachsenden Bedeutung, die sich angesichts der Kostenentwicklung <strong>und</strong> den<br />

gesetzlich festgeschriebenen Leistungsbeträgen der Pflegekasse ergibt. Durch die ergänzenden Leistungen der Hilfe zur Pflege<br />

übernehmen sie die Verantwortung <strong>für</strong> die finanzielle Absicherung der Pflegestandards <strong>und</strong> der Pflegequalität. Nicht mehr im Interesse<br />

der Pflegekassen sondern der Sozialhilfeträger liegt es, dass die Leistungserbringung sparsam <strong>und</strong> wirtschaftlich erfolgt. Dabei ist von<br />

Vorteil, dass die Kommunen Altenhilfeangebote zur Prävention von Pflege schaffen oder zur Kostenminimierung Einfluss auf die<br />

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