Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

Vorträge
Freitag, 9. Mai 2003
Vorträge:
• Staatliches Handeln im Spannungsfeld
von Orientierung und Okzidentierung:
Soziale Verantwortung und Illusion
Matthias Wesslowski
Leiter des Europäischen Instituts für
vergleichende Substanzforschung
(EIVSF, Brüssel)
Staatliches Handeln im Spannungsfeld von
Orientierung und Okzidentierung: Soziale Verantwortung
und Illusion
Matthias Wesslowski
Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass gerade in diesen Zeiten des Zweifels
und der Mutlosigkeit, des Zögerns, Zauderns und Zerredens Orientierung dringend
erforderlich ist. Da jedoch die nahe liegende Frage nach dem „Wohin?“
beinahe augenblicklich und zwangsläufig die Frage „Woher?“ nach sich zieht,
erweist sich der Blick zurück, in die Geschichte, als durchaus sinnstiftend: Der
Orient (Osten, das Morgenland) befindet sich bekanntlich dort, wo die Sonne
aufgeht, während sie im Westen, dem Abendland (dem Okzident) untergeht. Das
sich daraus ergebende Axiom „ex oriente lux“ – „ex oxidente luxus“ lässt allerdings
offen, ob neben der Orientierung auch die Okzidentierung dauerhaft Bestand
haben kann.
Jedenfalls befinden wir uns aufgrund dieser Überlegungen mitten im
Spannungsfeld zwischen Erleuchtung und Luxus, wobei sozialstaatliches
Handeln erfahrungsgemäß vor allem durch die beiden Fragen „Wohin geht‘s?“
und „Woher nehmen wir‘s?“ dominiert wird. Die ursprüngliche paradiesische
Ausgangssituation – es darf als gesichert gelten, dass die ersten Menschen keine
Sozialleistungen in Anspruch nehmen mussten, weil es keine Unterbeschäftigung
und keine Altersarmut gab – haben wir trotz oder vielleicht auch gerade
wegen zunehmender Einsicht und Erkenntnis längst hinter uns lassen müssen.
Anders formuliert: Der durch die Aufklärung verursachte Verlust der paradiesischen
Unschuld führte zur Erfindung der Sozialversicherung mit ihrer vorrangigen
Absicherung abhängig Beschäftigter sowie ihrer überwiegenden Finanzierung
über die bruttolohnbezogenen Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Da die geplante – und im Rahmen des Fürsorgetages auch umgesetzte – methodische
Konkretion dieser eher abstrakten Ausgangsüberlegungen mit Hilfe des
Elements Feuers („Wärme, Emotion, Erleuchtung“) zwar im wahrsten Sinn des
Wortes einleuchtend, aber mit nicht unerheblichem Risiko für alle Beteiligten
verbunden ist, hat bereits im Vorfeld der Gesetzgeber mit entsprechenden
Vorschriften auf das Trefflichste vor- und damit zugleich auch fürgesorgt:
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