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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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festhalten:<br />

1. Das Aktivierungskonzept nimmt offensichtlich durchaus sinnvolle Ideen aus der Subsidiaritätsdiskussion der 50er-/60er-Jahre auf,<br />

wobei die neue Solidargemeinschaft in zivilgesellschaftlichen Strukturen angesiedelt sein soll.<br />

2. Das große theoretische Versprechen „Inklusion statt Exklusion“ gerät in der Praxis unter dem Druck von Haushaltsrestriktionen <strong>und</strong><br />

exzessiver Sparpolitik zunehmend in Gefahr, wobei die Aktivierung schnell zur Drangsalierung <strong>und</strong> Marginalisierung mutieren kann,<br />

wenn man meint, Strukturprobleme durch die In-Pflicht-Nahme der davon betroffenen Individuen lösbar machen zu können.<br />

3. Dieser Umstand verweist auf eine eher lückenhafte ökonomische Eingangsanalyse, was sich auch in den Einschätzungen von<br />

Kosten/Nutzen <strong>und</strong> der Finanzierbarkeit sozialer Leistungen/sozialer Arbeit niederschlägt.<br />

Selbst wenn man nun einmal gleichwohl hypothetisch unterstellt, der Wohlfahrtsstaat alter Prägung wäre doch nicht mehr in diesem<br />

Ausmaß finanzierbar, <strong>und</strong> es wäre ein Akt der Humanisierung – wie es der Kanzler (Schröder 2002, S. 10) im Eingangszitat ausdrückte<br />

–, ihn durch Bürgeraktivierung zu reformieren, dann stellen sich logisch zumindest drei zentrale Fragen:<br />

(A) Gibt es ein Aktivierungsproblem, also verbreitete Passivität der Wohlfahrtsbürger?<br />

(B) Wenn es das geben sollte, kann durch staatliches Handeln bürgerschaftliche Aktivität <strong>und</strong> Engagement erzeugt werden; also ist die<br />

Zivilgesellschaft quasi durch den Staat zu installieren?<br />

(C) Könnte eine solche Installierung der Zivilgesellschaft mittels Fördern <strong>und</strong> Fordern also mit dem Prinzip „Keine staatliche Leistung<br />

ohne Gegenleistung in Form von Arbeit bzw. zumindest Arbeitsbereitschaft“ sinnvoll in die Praxis übersetzt werden?<br />

Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive scheint in allen drei Punkten eine skeptische Einschätzung geboten:<br />

Zu (A)<br />

Dort, wo es zumindest an den Stammtischen vermutet wird, ist das Aktivierungsproblem der Wohlfahrtsbürger empirisch nicht<br />

vorfindbar. Leistungsempfänger sind aktiv <strong>und</strong> konzessionsbereit, wie u.a. die empirischen Untersuchungen des Instituts <strong>für</strong> Arbeitsmarkt-<br />

<strong>und</strong> Berufsforschung der B<strong>und</strong>esanstalt <strong>für</strong> Arbeit beweisen (Brixy/Christensen 2002): Zwischen 80 <strong>und</strong> 90 % der Arbeitslosen<br />

sind beispielsweise bereit, einen Berufswechsel, wechselnde Arbeitszeiten bzw. auch längere Arbeitswege <strong>für</strong> eine neue Stelle in Kauf<br />

zu nehmen, wenn auch z.T. sicherlich nicht sehr gerne.<br />

Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen – Anteil in %<br />

...würde ich<br />

... in Kauf nehmen.<br />

... ohne weiteres... ...ungern... ...auf keinen Fall...<br />

Berufswechsel 59 28<br />

wechselnde Arbeitszeiten<br />

Arbeit, die unter meinem<br />

fachlichen Können liegt<br />

längerer Weg zur Arbeit<br />

weniger interessante Arbeit<br />

unangenehme Arbeitsbedingungen<br />

(Lärm, Schmutz)<br />

geringeres Einkommen<br />

Wechsel des Wohnortes<br />

11<br />

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33<br />

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55<br />

42<br />

52<br />

Abbildung 6: Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen<br />

aus: Brixy/Christensen (2002): Flexibilität. Was würden Arbeitslose <strong>für</strong> einen Arbeitsplatz in Kauf nehmen? In: IABKurzbericht,<br />

Nr. 25 vom 6.12.2002<br />

Das Schaubild zeigt, dass 74 % der befragten Arbeitslosen unter diesen Bedingungen sogar mit einem geringeren Verdienst sich abfinden<br />

würden, wenn sie eine neue Arbeitsstelle in Aussicht hätten. Die B<strong>und</strong>esanstalt <strong>für</strong> Arbeit <strong>und</strong> ihr wissenschaftliches Institut dürften<br />

in diesem Zusammenhang sicherlich als unbefangene Forschungsstelle gelten.<br />

Zu (B)<br />

Selbst wenn man aber einmal dieses mangelnde Bürgerengagement unterstellen würde, ist die aktive Zivilgesellschaft, die sich selbst<br />

<strong>und</strong> den Opfern struktureller Krisen <strong>und</strong> individueller Benachteiligungen hilft, nicht durch staatliches Fördern <strong>und</strong> Fordern oder gar per<br />

Dekret herstellbar, da die Bürgergesellschaft – wie die einschlägige Enquete-Kommission des Deutschen B<strong>und</strong>estages (2002) zu Recht<br />

konstatiert – „.die Vision einer politischen Gemeinschaft“ ist, die auch auf der inneren Haltung der Bürger fußt, sich <strong>für</strong> das<br />

Gemeinwesen zu engagieren (vgl. S. 33 f.). Vergemeinschaftung aber – so schon die Analyse von Max Weber vor über 190 Jahren –<br />

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