Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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Der qualitative Blick auf Sozialräume als Lebenswelten schafft Chancen zur Bildung,<br />
Unterstützung <strong>und</strong> Partizipation durch eine Kooperation zwischen einer sozialräumlich<br />
orientierten Jugendarbeit <strong>und</strong> den Hilfen zur Erziehung<br />
Ulrich Deinet<br />
1. Vorbemerkung<br />
Ich spreche sonst vor Fachkräften der Jugendarbeit, in denen die Debatte um die Sozialraumorientierung mit ganz anderen Begriffen<br />
geführt wird. So ist dort der Begriff des Sozialraumbudgets nicht so geläufig wie in den Hilfen zur Erziehung <strong>und</strong> Spezialbegriffe etwa<br />
die der fallspezifischen <strong>und</strong> fallunspezifischen Hilfen sind meist gänzlich unbekannt.<br />
Ich halte allerdings die der Versäulung der Jugendhilfe entsprechende Kultur der isolierten Debatten auch zum Thema Sozialraum <strong>für</strong><br />
höchst problematisch <strong>und</strong> sehe in der Diskussion um das Paradigma der Sozialraumorientierung eine Chance, diese Versäulung zu<br />
durchbrechen.<br />
Meine Frage hier lautet, wie können die Hilfen zur Erziehung sozialraumorientiert sein: neben der sozialräumlichen Organisationsentwicklung<br />
(Sozialraumteams) auch durch einen qualitativen Blick auf Sozialräume als Lebenswelten. Dieser sozialräumliche Blick eröffnet<br />
Einsichten in die Lebenswelten von Kindern, Jugendlichen <strong>und</strong> Familien sowie deren Ressourcen <strong>und</strong> Kompetenzen <strong>und</strong> erlaubt<br />
einen Wechsel der Perspektive vom Fall zum Feld <strong>und</strong> umgekehrt.<br />
Der Sozialraum, der Stadtteil, das Dorf etc. wird mit diesem Blick als Aneignungs- <strong>und</strong> Bildungsraum gesehen, den es zu qualifizieren<br />
gilt (insbesondere die <strong>öffentliche</strong> Räume), auch als Ressource zur Fallbearbeitung. Der Begriff von Bildung ist sehr breit <strong>und</strong> meint<br />
insbesondere die informelle Bildung, die außerhalb von Schule <strong>und</strong> Institutionen wesentlich im <strong>öffentliche</strong>n Raum in den Lebenswelten<br />
angeeignet wird.<br />
2. Der „sozialräumliche Blick“ der Jugendarbeit begreift Sozialräume als Aneignungsräume<br />
Die in der Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit entwickelten sozialräumlichen Konzepte (vgl. Deinet 1999) basieren auf wissenschaftlichen<br />
Traditionen (z.B. sozial-ökologische Ansätze), die Kinder, Jugendliche <strong>und</strong> Erwachsene als handelnde Subjekte in ihrer Lebenswelt<br />
sehen. Subjektive Lebenswelten können aufgr<strong>und</strong> struktureller Faktoren (z.B. Einschränkung des Handlungsraums, Entfernungen) <strong>und</strong><br />
subjektbezogener Faktoren (z.B. Ethnie, Geschlecht) sehr unterschiedlich gestaltet sein. Das Inselmodell bezieht sich dabei auf<br />
subjektive Lebenswelten, die nur zum Teil mit dem Sozialraum (Stadtteil, Dorf) zusammenpassen.<br />
Im Mittelpunkt der Anwendung solcher sozialökologischer Ansätze (Deinet 1999) steht zunächst die Beschreibung der Struktur<br />
kindlicher <strong>und</strong> jugendlicher Lebensräume <strong>und</strong> deren Veränderungen. Um einen Bezug zu den handelnden Individuen herzustellen,<br />
bezieht sich der sozialräumliche Ansatz auf das Aneignungskonzept als Subjekttheorie. Auf der Gr<strong>und</strong>lage des tätigkeitstheoretischen<br />
Ansatzes der kritischen Psychologie (Leontjew 1973/Holzkamp 1983) ist Aneignung als die tätige Auseinandersetzung des handelnden<br />
Subjektes mit der Umwelt zu verstehen.<br />
Aneignung wird hier verstanden als:<br />
• eigentätige Auseinandersetzung mit der Umwelt<br />
• (kreative) Gestaltung von Räumen mit Symbolen etc.<br />
• Inszenierung, Verortung im <strong>öffentliche</strong>n Raum (Nischen, Ecken, Bühnen) <strong>und</strong> in Institutionen<br />
• Erweiterung des Handlungsraumes (die neuen Möglichkeiten, die in neuen Räumen liegen)<br />
• Veränderung vorgegebener Situationen <strong>und</strong> Arrangements<br />
• Erweiterung motorischer, gegenständlicher, kreativer <strong>und</strong> medialer Kompetenz<br />
• Erprobung des erweiterten Verhaltensrepertoires <strong>und</strong> neuer Fähigkeiten in neuen Situationen<br />
• Entwicklung situationsübergreifender Kompetenzen im Sinn eine „Unmittelbarkeitsüberschreitung“ <strong>und</strong><br />
„Bedeutungsverallgemeinerung“ (Braun 1994)<br />
Diese Dimensionen der Operationalisierung des Aneignungsbegriffes beziehen sich insbesondere auf das informelle Lernen. Durch<br />
gelungene Aneignung wird das Individuum handlungsfähig in handlungsoffenen Situationen <strong>und</strong> erweitert damit seine Kompetenzen.<br />
Aneignung als aktive Erschließung der Lebenswelt ist ein Prozess, der auch <strong>für</strong> den Erwerb von Schlüsselqualifikationen oder die Entwicklung<br />
personaler Kompetenz sehr wichtig ist.<br />
3. Aneignung <strong>und</strong> verinselte Räume?<br />
Gerade die Lebenswelten spezifischer Zielgruppen oder einzelner Kinder <strong>und</strong> Jugendlicher entstehen in diesem aneignungsorientierten<br />
Verständnis als subjektive Aneignungsräume <strong>und</strong> sind nur zum Teil mit dem jeweiligen Sozialraum als Verwaltungsbezirk deckungsgleich.<br />
So hat schon Helga Zeiher 1983 die Lebenswelten von Kindern in der Großstadt mit ihrem Inselmodell beschrieben, das nicht<br />
mehr von der Vorstellung eines kontinuierlich sich vergrößernden Raumes ausgeht, sondern von einzelnen Rauminseln, die zum Teil<br />
aus Sicht des Kindes bzw. des Jugendlichen in keinem direkten räumlichen Zusammenhang stehen.<br />
Martina Löw (2001) beschreibt, dass Kinder <strong>und</strong> Jugendliche heute keine homogene Raumvorstellung, so wie frühere Generationen,<br />
entwickeln können, sondern auch aufgr<strong>und</strong> des Einflusses der Medien Raum als inkonsistent erfahren: Diese neue<br />
Sozialisationserfahrung bestätigt nicht mehr die Vorstellung, im Raum zu leben. Raum wird nun auch als diskontinuierlich konstituierbar<br />
<strong>und</strong> bewegt erfahren. An einem Ort können sich verschiedene Räume herausbilden. Dadurch entsteht, so meine These, neben der<br />
kulturell tradierten Vorstellung, im Raum zu leben, d.h. von einem einheitlichen homogenen Raum umgeben zu sein, auch eine<br />
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