01.12.2012 Aufrufe

Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Der qualitative Blick auf Sozialräume als Lebenswelten schafft Chancen zur Bildung,<br />

Unterstützung <strong>und</strong> Partizipation durch eine Kooperation zwischen einer sozialräumlich<br />

orientierten Jugendarbeit <strong>und</strong> den Hilfen zur Erziehung<br />

Ulrich Deinet<br />

1. Vorbemerkung<br />

Ich spreche sonst vor Fachkräften der Jugendarbeit, in denen die Debatte um die Sozialraumorientierung mit ganz anderen Begriffen<br />

geführt wird. So ist dort der Begriff des Sozialraumbudgets nicht so geläufig wie in den Hilfen zur Erziehung <strong>und</strong> Spezialbegriffe etwa<br />

die der fallspezifischen <strong>und</strong> fallunspezifischen Hilfen sind meist gänzlich unbekannt.<br />

Ich halte allerdings die der Versäulung der Jugendhilfe entsprechende Kultur der isolierten Debatten auch zum Thema Sozialraum <strong>für</strong><br />

höchst problematisch <strong>und</strong> sehe in der Diskussion um das Paradigma der Sozialraumorientierung eine Chance, diese Versäulung zu<br />

durchbrechen.<br />

Meine Frage hier lautet, wie können die Hilfen zur Erziehung sozialraumorientiert sein: neben der sozialräumlichen Organisationsentwicklung<br />

(Sozialraumteams) auch durch einen qualitativen Blick auf Sozialräume als Lebenswelten. Dieser sozialräumliche Blick eröffnet<br />

Einsichten in die Lebenswelten von Kindern, Jugendlichen <strong>und</strong> Familien sowie deren Ressourcen <strong>und</strong> Kompetenzen <strong>und</strong> erlaubt<br />

einen Wechsel der Perspektive vom Fall zum Feld <strong>und</strong> umgekehrt.<br />

Der Sozialraum, der Stadtteil, das Dorf etc. wird mit diesem Blick als Aneignungs- <strong>und</strong> Bildungsraum gesehen, den es zu qualifizieren<br />

gilt (insbesondere die <strong>öffentliche</strong> Räume), auch als Ressource zur Fallbearbeitung. Der Begriff von Bildung ist sehr breit <strong>und</strong> meint<br />

insbesondere die informelle Bildung, die außerhalb von Schule <strong>und</strong> Institutionen wesentlich im <strong>öffentliche</strong>n Raum in den Lebenswelten<br />

angeeignet wird.<br />

2. Der „sozialräumliche Blick“ der Jugendarbeit begreift Sozialräume als Aneignungsräume<br />

Die in der Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit entwickelten sozialräumlichen Konzepte (vgl. Deinet 1999) basieren auf wissenschaftlichen<br />

Traditionen (z.B. sozial-ökologische Ansätze), die Kinder, Jugendliche <strong>und</strong> Erwachsene als handelnde Subjekte in ihrer Lebenswelt<br />

sehen. Subjektive Lebenswelten können aufgr<strong>und</strong> struktureller Faktoren (z.B. Einschränkung des Handlungsraums, Entfernungen) <strong>und</strong><br />

subjektbezogener Faktoren (z.B. Ethnie, Geschlecht) sehr unterschiedlich gestaltet sein. Das Inselmodell bezieht sich dabei auf<br />

subjektive Lebenswelten, die nur zum Teil mit dem Sozialraum (Stadtteil, Dorf) zusammenpassen.<br />

Im Mittelpunkt der Anwendung solcher sozialökologischer Ansätze (Deinet 1999) steht zunächst die Beschreibung der Struktur<br />

kindlicher <strong>und</strong> jugendlicher Lebensräume <strong>und</strong> deren Veränderungen. Um einen Bezug zu den handelnden Individuen herzustellen,<br />

bezieht sich der sozialräumliche Ansatz auf das Aneignungskonzept als Subjekttheorie. Auf der Gr<strong>und</strong>lage des tätigkeitstheoretischen<br />

Ansatzes der kritischen Psychologie (Leontjew 1973/Holzkamp 1983) ist Aneignung als die tätige Auseinandersetzung des handelnden<br />

Subjektes mit der Umwelt zu verstehen.<br />

Aneignung wird hier verstanden als:<br />

• eigentätige Auseinandersetzung mit der Umwelt<br />

• (kreative) Gestaltung von Räumen mit Symbolen etc.<br />

• Inszenierung, Verortung im <strong>öffentliche</strong>n Raum (Nischen, Ecken, Bühnen) <strong>und</strong> in Institutionen<br />

• Erweiterung des Handlungsraumes (die neuen Möglichkeiten, die in neuen Räumen liegen)<br />

• Veränderung vorgegebener Situationen <strong>und</strong> Arrangements<br />

• Erweiterung motorischer, gegenständlicher, kreativer <strong>und</strong> medialer Kompetenz<br />

• Erprobung des erweiterten Verhaltensrepertoires <strong>und</strong> neuer Fähigkeiten in neuen Situationen<br />

• Entwicklung situationsübergreifender Kompetenzen im Sinn eine „Unmittelbarkeitsüberschreitung“ <strong>und</strong><br />

„Bedeutungsverallgemeinerung“ (Braun 1994)<br />

Diese Dimensionen der Operationalisierung des Aneignungsbegriffes beziehen sich insbesondere auf das informelle Lernen. Durch<br />

gelungene Aneignung wird das Individuum handlungsfähig in handlungsoffenen Situationen <strong>und</strong> erweitert damit seine Kompetenzen.<br />

Aneignung als aktive Erschließung der Lebenswelt ist ein Prozess, der auch <strong>für</strong> den Erwerb von Schlüsselqualifikationen oder die Entwicklung<br />

personaler Kompetenz sehr wichtig ist.<br />

3. Aneignung <strong>und</strong> verinselte Räume?<br />

Gerade die Lebenswelten spezifischer Zielgruppen oder einzelner Kinder <strong>und</strong> Jugendlicher entstehen in diesem aneignungsorientierten<br />

Verständnis als subjektive Aneignungsräume <strong>und</strong> sind nur zum Teil mit dem jeweiligen Sozialraum als Verwaltungsbezirk deckungsgleich.<br />

So hat schon Helga Zeiher 1983 die Lebenswelten von Kindern in der Großstadt mit ihrem Inselmodell beschrieben, das nicht<br />

mehr von der Vorstellung eines kontinuierlich sich vergrößernden Raumes ausgeht, sondern von einzelnen Rauminseln, die zum Teil<br />

aus Sicht des Kindes bzw. des Jugendlichen in keinem direkten räumlichen Zusammenhang stehen.<br />

Martina Löw (2001) beschreibt, dass Kinder <strong>und</strong> Jugendliche heute keine homogene Raumvorstellung, so wie frühere Generationen,<br />

entwickeln können, sondern auch aufgr<strong>und</strong> des Einflusses der Medien Raum als inkonsistent erfahren: Diese neue<br />

Sozialisationserfahrung bestätigt nicht mehr die Vorstellung, im Raum zu leben. Raum wird nun auch als diskontinuierlich konstituierbar<br />

<strong>und</strong> bewegt erfahren. An einem Ort können sich verschiedene Räume herausbilden. Dadurch entsteht, so meine These, neben der<br />

kulturell tradierten Vorstellung, im Raum zu leben, d.h. von einem einheitlichen homogenen Raum umgeben zu sein, auch eine<br />

Zurück zum Inhalt<br />

189

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!