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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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zu 3: Kulturelle Lage<br />

Angesichts der Tatsache, dass das Bildungswesen nach wie vor soziale Ungleichheit reproduziert, bleibt die Verantwortung <strong>für</strong> die<br />

Gewährleistung von Chancengleichheit bestehen, <strong>und</strong> angesichts der Fortdauer der Massenarbeitslosigkeit muss jedenfalls jeder junge<br />

Mensch einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz erhalten. Angesichts der kulturellen Revolution durch die Informationstechnologie <strong>und</strong><br />

angesichts der deutlichen sozialen Unterschiede beim Zugang <strong>und</strong> bei der Nutzung der neuen informationstechnologischen Möglichkeiten<br />

wird zwar eine neue Verantwortung <strong>für</strong> die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen deutlich, doch wir<br />

sind weit davon entfernt zu begreifen, wie diese Verantwortung denn wahrgenommen werden kann.<br />

Fasst man alles dieses zusammen, so zeigt sich, dass die Verantwortung <strong>für</strong> das Aufwachsen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen heute die<br />

Reproduktion der nächsten Generation selber <strong>und</strong> die Steuerung der Migrationsströme zum Gegenstand hat, nach wie vor die Sicherung<br />

gerechter sozioökonomischer Lebensgr<strong>und</strong>lagen sowie die Humanisierung der informationstechnologischen Revolution.<br />

Öffentliche Verantwortung<br />

Wenn es richtig ist, dass Verantwortung Pflichten begründet, deren Verletzung Folgen hat (Max Weber), die bei individueller Verantwortung<br />

mit dem Begriff der Haftung belegt werden, dann muss man die Frage stellen, inwiefern diejenigen, die <strong>für</strong> das Aufwachsen<br />

von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen – jenseits der individuellen elterlichen Verantwortung – die <strong>öffentliche</strong> Verantwortung tragen,<br />

inwiefern sie <strong>für</strong> die Folgen ihres Verhaltens zur Verantwortung gezogen bzw. haftbar gemacht werden können. Man stellt erstaunt fest,<br />

dass dies im politischen System der Demokratie eigentlich gar nicht vorgesehen ist, erstaunlich deshalb, weil das parlamentarische<br />

System auch den Namen „Responsible Government“ trägt.<br />

Beginnen wir mit der Staatsseite <strong>und</strong> der Frage nach den Folgen hier. Ja, „Responsible Government“ heißt, dass es eine Verantwortlichkeit<br />

der Regierung gibt. Wem gegenüber? Dem Parlament gegenüber, das – hier<strong>für</strong> gibt es verschiedene Verfahren – die<br />

Regierung zur Rechenschaft ziehen kann, z.B. bei Haushaltsüberschreitungen. Das Parlament kann die Regierung auch <strong>für</strong> die Verletzung<br />

ihrer Verpflichtung gegenüber der nachwachsenden Generation zur Verantwortung ziehen – doch in der Parteiendemokratie ist<br />

dies schwierig.<br />

Das Parlament aber ist nur dem Volk gegenüber verantwortlich, doch das Volk kann das Parlament nicht zur Rechenschaft ziehen – es<br />

sei denn am Wahltage. Vom einzelnen Abgeordneten heißt es im Gr<strong>und</strong>gesetz sogar ausdrücklich, dass er nur seinem Gewissen<br />

unterworfen ist (Art. 38, Abs. II GG), <strong>für</strong> seine Entscheidungen also nicht zur Verantwortung gezogen werden kann – es sei denn am<br />

Wahltage. Dies ist in der parlamentarischen Parteiendemokratie auch konsequent, denn wir hatten schon mit Hans Jonas gesehen, das<br />

die Verantwortung des Staatsmannes im Wahlakt begründet ist. Dennoch bleibt es eine erstaunliche Tatsache, dass man zwar die<br />

<strong>öffentliche</strong> Verantwortung <strong>für</strong> das Aufwachsen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen einfordern kann, dass das Charakteristische der<br />

Verantwortung, die Haftung, aber bei den staatlichen Organen gar nicht eintritt. Die Verletzung der Verantwortung scheint auf der<br />

Staatsseite folgenlos zu bleiben.<br />

Wendet man nun den Blick zur anderen Seite, zu den gesellschaftlichen Großorganisationen, die an der <strong>öffentliche</strong>n Verantwortung <strong>für</strong><br />

das Aufwachsen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen ebenfalls teilhaben, dann fällt das Ergebnis noch deutlicher aus: Die Medien, die<br />

Wirtschaft, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Wissenschaft, die Sportverbände, die Wohlfahrtsverbände, die Jugendverbände. An<br />

ihrer Verantwortung <strong>für</strong> das Aufwachsen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen besteht nach der Analyse der Lebenslagenpolitik kein Zweifel,<br />

auch nicht daran, das es sich um eine Form <strong>öffentliche</strong>r Verantwortung handelt. Doch wie steht es mit der Haftung, mit dem Einstehen<br />

<strong>für</strong> die Folgen? Wer haftet, wenn die Brutalität jugendlicher Verbrecher aufgr<strong>und</strong> der Banalisierung der Gewalt in den Medien zunimmt?<br />

Hat es Folgen, wenn Jugendliche zwar <strong>für</strong> die aktuellen Bedürfnisse der Betriebe ausgebildet werden, ihre Beschäftigungsfähigkeit aber<br />

vernachlässigt wird? Endet die Verantwortlichkeit der Mikrogenetik, wenn der nationale Ethikrat die Unbedenklichkeit bestimmter Verfahren<br />

festgestellt hat? Lehrer <strong>und</strong> Sozialarbeiter wehren sich gegen die Übernahme von Verantwortung <strong>für</strong> das Verhalten der ihnen anvertrauten<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen außerhalb ihres unmittelbaren Kontrollbereiches usw. Sie alle berufen sich in ihrem Tun auf ihre<br />

Gr<strong>und</strong>rechte, die Pressefreiheit, die Unternehmerfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit, die pädagogische Freiheit – soweit staatliche Gesetze<br />

diese nicht verfassungskonform einschränken, <strong>und</strong> dies auch noch in engen Grenzen, denken wir an die Diskussion um die Berufsausbildungsabgabe<br />

oder um die Informationsfreiheit im Internet. Außer in den schüchternen <strong>und</strong> wirkungsschwachen Formen der<br />

Selbstkontrolle <strong>und</strong> der kollektiven Selbstverpflichtung gibt es keine Möglichkeiten, die <strong>öffentliche</strong> Verantwortung der<br />

gesellschaftlichen Großorganisationen <strong>für</strong> das Aufwachsen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen effektiv einzufordern. Die kommunitaristischen<br />

<strong>und</strong> zivilgesellschaftlichen Versuche blieben im Appellativen stecken.<br />

Also keine Verantwortung mit Folgen? – Auch keine folgenreiche Forderung nach der <strong>öffentliche</strong>n Verantwortung <strong>für</strong> das Aufwachsen<br />

von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen?<br />

Ich habe nicht die Absicht, Sie mit einem solchen resignativen Schluss zu entlassen. Ich glaube vielmehr, dass es Mittel <strong>und</strong> Wege gibt,<br />

die <strong>öffentliche</strong> Verantwortung <strong>für</strong> das Aufwachsen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen folgenreich einzufordern. Der Schlüssel hier<strong>für</strong> liegt<br />

im Begriff der „<strong>öffentliche</strong>n Verantwortung“ selber. Das Wort „Verantwortung“ umfasst das Wort „antworten“. Jeder, der <strong>öffentliche</strong><br />

Verantwortung trägt, muss sich öffentlich zu seinem Verhalten Fragen stellen lassen <strong>und</strong> Antworten geben. Öffentliche<br />

Verantwortung ist die Institutionalisierung eines solchen <strong>öffentliche</strong>n Kommunikationsprozesses; mehr kann sie vermutlich in der<br />

Demokratie auch nicht sein; doch – man sollte die Folgen eines solchen Prozesses nicht unterschätzen. „Light is a good policeman“ –<br />

auch wenn das Handeln <strong>und</strong> Unterlassen der Verantwortlichen unmittelbare Folgen nicht zu besitzen scheint; im Zuge eines solchen<br />

<strong>öffentliche</strong>n Kommunikationsprozesses sollten sie sich einstellen: Minister müssen zurücktreten, Abgeordnete werden nicht wiedergewählt,<br />

Zeitungen werden nicht mehr gekauft, die Einschaltquoten bestimmter Sendungen sinken, bestimmte Produkte werden nicht<br />

mehr gekauft, bestimmte Dienstleistungen nicht mehr nachgefragt, die Mitgliedschaften bestimmter Verbände sinken usw. …<br />

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