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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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enachteiligten Gruppen des Arbeitsmarkts durch öffentlich geförderte Qualifizierungs- <strong>und</strong> Beschäftigungsmaßnahmen unterstützt<br />

werden sollte, steht nunmehr die Direktvermittlung in den ersten Arbeitsmarkt im Vordergr<strong>und</strong>. Dabei bleibt offen, inwieweit das<br />

Beschäftigungssystems tatsächlich in der Lage ist, das bisher ausgegrenzte Arbeitskräftereservoir kurzfristig aufzunehmen. Ein<br />

großes Potenzial neu zu erschließender Arbeitsplätze wird vor allem im sog. Niedriglohnsektor vermutet. Um dieses Potenzial zu<br />

erschließen, sollen Arbeitslose durch eine Absenkung des sozialen Sicherungsniveaus, durch erhöhte finanzielle Anreize sowie<br />

durch verschärfte Sanktionsandrohungen veranlasst werden, solche Jobs nachzufragen (vgl. z.B. Hanesch/Balzter 2000).<br />

(3) Während bis in die 80er-Jahre hinein die sozialstaatliche Verpflichtung betont wurde, effektive Eingliederungshilfen anzubieten,<br />

wird heute vorrangig die Verpflichtung der betroffenen Arbeitslosen hervorgehoben, alle Anstrengungen zu unternehmen, um<br />

(wieder) eine Erwerbsarbeit zu finden bzw. angebotene Arbeitsgelegenheiten anzunehmen. Wurde die Notwendigkeit arbeitsmarkt<strong>und</strong><br />

sozialpolitischer Interventionen auf der Basis mittelfristig orientierter Kosten-Nutzen-Überlegungen mit ökonomischen, fiskalischen,<br />

sozialen <strong>und</strong> politischen Vorteilen begründet, steht heute primär die kurzfristige fiskalische Entlastung der <strong>öffentliche</strong>n<br />

Haushalte <strong>und</strong> die legitimatorische Freistellung der politisch Verantwortlichen im Vordergr<strong>und</strong>. Die Verantwortung <strong>für</strong> die<br />

Bewältigung der akuten Arbeitsmarktkrise wird damit vorrangig den Arbeitsmarktparteien bzw. den betroffenen Erwerbslosen selbst<br />

aufgebürdet (vgl. z.B. Trube/Wohlfahrt 2003).<br />

Die Reformdebatte hat sich in jüngster Zeit vor allem auf eine Neuregelung der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit <strong>und</strong><br />

auf eine Neubestimmung der Rolle der Arbeits- <strong>und</strong> Sozialämter bei der Reintegration der Arbeitslosen in das Beschäftigungssystem<br />

konzentriert.<br />

Unabhängig von diesem aktuellen Reformkontext ist die Sozialhilfe mit einem längerfristig angelegten Prozess der Flexibilisierung<br />

der Arbeits- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse konfrontiert, der gerade das Leistungsnetz der Hilfe zum Lebensunterhalt vor<br />

tief greifende Herausforderungen stellt: Zum einen besitzt die Sozialhilfe – anders als andere sozialstaatliche Leistungssysteme<br />

– einen sehr weit gespannten Leistungsauftrag <strong>und</strong> ist daher in höchst unterschiedlichen Aufgabenfeldern durch den<br />

Wandel der Arbeits- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse gefordert. Zum anderen fungiert die Sozialhilfe als Netz unter den Netzen, das<br />

in wachsendem Maße die Defizite <strong>und</strong> Lücken der vorgelagerten Systeme auffangen <strong>und</strong> kompensieren muss. Wenn sich <strong>für</strong><br />

die Zukunft die Frage stellt, wie die wachsenden Flexibilitätsanforderungen <strong>und</strong> -zumutungen an den Einzelnen mit sozialstaatlichen<br />

Sicherungs- <strong>und</strong> Schutzgeboten vereinbart werden können bzw. sollen im Sinne eines „Flexicurity“-Ansatzes (vgl.<br />

z.B. Keller/Seifert 2000; Klammer/Tillmann 2002), ist das letzte Netz der Sozialhilfe in besonderem Maße gefordert.<br />

In meinem Beitrag möchte ich im ersten Schritt auf den sich abzeichnenden Wandel der Arbeits- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse eingehen<br />

<strong>und</strong> die daraus resultierenden Herausforderungen <strong>und</strong> Anforderungen an die Gestaltung eines letzten Netzes sozialer<br />

Sicherung diskutieren. In einem zweiten Schritt werde ich die aktuelle Reformentwicklung im Bereich von Arbeitslosenhilfe<br />

<strong>und</strong> Sozialhilfe skizzieren <strong>und</strong> die absehbaren Folgen darstellen. Abschließend sollen die aktuellen Reformen den Anforderungen<br />

eines Flexicurity-Ansatzes gegenüber gestellt werden.<br />

2. Flexibilisierung <strong>und</strong> Aktualisierung von Existenzrisiken<br />

Spätestens seit Anfang der 80er-Jahre ist in der B<strong>und</strong>esrepublik eine zunehmende Aktualisierung von Existenzrisiken im Zuge einer<br />

„Flexibilisierung“ der Arbeits- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse zu beobachten (vgl. zu den vielfältigen empirischen Gr<strong>und</strong>lagen: Bäcker/Hanesch<br />

1998; Klammer et al. 2002).<br />

Eine solche Risikoverschärfung ist einmal im Zusammenhang mit einer zunehmenden quantitativen Bedeutung atypischer Beschäftigungsformen<br />

festzustellen. Dabei hat die Zunahme atypischer Formen der Erwerbsarbeit bisher weniger auf Kosten der „Normalarbeitsbeschäftigten“<br />

stattgef<strong>und</strong>en, sondern war Ausdruck einer Beschäftigungszunahme, wobei vor allem Problemgruppen des<br />

Arbeitsmarkts mit solchen Beschäftigungsformen konfrontiert sind. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieses Strukturwandels des Beschäftigungssystems<br />

vollzieht sich zugleich eine Erosion traditioneller Mindestlohnregelungen. So ist ein Rückgang der Prägekraft tarifvertraglicher<br />

Mindestlohnregelungen zu beobachten, auch wenn eine Ausdifferenzierung der Lohnstruktur nach unten bisher fast ausschließlich in<br />

atypischen Beschäftigungsformen empirisch erfasst werden kann. Durch die anhaltende Massenarbeitslosigkeit werden sowohl<br />

Beschäftigungs- als auch Einkommensrisiken aktualisiert, die vom zeitweiligen Ausfall des Erwerbseinkommens bis zur dauerhaften<br />

Aussteuerung aus dem Beschäftigungs- <strong>und</strong> Verdienstsystem reichen. Die Zunahme des Arbeitslosigkeitsrisikos wie die Zunahme<br />

atypischer Erwerbsformen hat die Zunahme von Dauer <strong>und</strong> Häufigkeit von Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> damit die Erosion<br />

traditionaler Erwerbsbiographiemuster zur Folge. Dies gilt freilich primär <strong>für</strong> männliche Erwerbsverläufe, während die Teilnahme von<br />

Frauen am Erwerbsleben seit jeher sehr viel stärker durch Unterbrechungen <strong>und</strong> „atypische Verlaufsmuster“ gekennzeichnet war.<br />

Flexibilisierungsrisiken treten aber nicht nur in der Erwerbsarbeit auf, sondern betreffen ebenso die <strong>private</strong>n Lebensformen <strong>und</strong> Haushaltsstrukturen.<br />

Wird als Indikator der materiellen Risiko- <strong>und</strong> Versorgungslage das Einkommen zugr<strong>und</strong>e gelegt, ist <strong>für</strong> die Analyse<br />

der materiellen Lage des (Arbeitnehmer-)Haushalts das jeweilige verfügbare Einkommen oder Haushaltsnettoeinkommen zugr<strong>und</strong>e zu<br />

legen. Dieses erhält man, wenn die Gesamtheit aller Faktoreinkommen einschließlich des Saldos der <strong>private</strong>n Transfers um die (direkten)<br />

Steuern <strong>und</strong> Sozialabgaben vermindert <strong>und</strong> um die monetären staatlichen Transfers aufgestockt wird. Erst dieses tatsächlich verfügbare<br />

Haushaltseinkommen erlaubt eine Beantwortung der Fragen, über welche Mittel der Haushalt bei seinen Konsum- <strong>und</strong> Sparentscheidungen<br />

verfügen kann <strong>und</strong> in welcher Relation die Haushaltsressourcen zu einem gesellschaftlich definierten Existenzminimum stehen.<br />

Die Relevanz eines einzelnen Verdienstes <strong>für</strong> die materielle Position des Haushalts ist also wesentlich dadurch beeinflusst, welche<br />

weiteren Einkünfte im Haushalt verfügbar sind <strong>und</strong> welche Bedarfe im Haushalt zu decken sind. Insofern kann im Rahmen des Familien-<br />

<strong>und</strong> Haushaltszusammenhangs eine Risikokompensation stattfinden, deren Schutzfunktion allerdings an die Stabilität des Haushaltskontextes<br />

gekoppelt ist. Der gegenwärtig festzustellende Wandel der Geschlechtsrollen, der Lebensformen <strong>und</strong> Lebensstile hat<br />

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