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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Einen speziellen Fokus möchte ich in meinem Referat auf das so genannten „persönlichen Care-Budget“ im Pflegebereich richten: Das<br />

Ges<strong>und</strong>heitspflegesystem in den Niederlanden wird in die Bereiche „Behandlung“ (cure) <strong>und</strong> „Pflege“ (care) aufgeteilt. Wenn Sie zum<br />

Arzt gehen oder sich im Krankenhaus einer Operation unterziehen müssen, ist das eine Behandlung. Wenn Sie Unterstützung in der<br />

Haushaltsführung beanspruchen oder wenn Sie in einer speziellen Einrichtung leben müssen, ist das Pflege. Das System der staatlichen<br />

Versicherung, das die Kosten der Pflege deckt, basiert auf einem Gesetz, welches die Regelung von Kosten <strong>für</strong> spezielle medizinische<br />

Ausgaben beinhaltet (Exceptional Medical Expenses Act).<br />

Die Umsetzung des Gesetzes wird durch 31 regionale Ges<strong>und</strong>heitspflegebüros sichergestellt. Sie handeln Verträge aus mit Pflegeinstitutionen<br />

<strong>und</strong> mit Organisationen <strong>und</strong> sie sind da<strong>für</strong> verantwortlich, dass die Leistungen, zu denen die Patienten berechtigt sind, auch<br />

tatsächlich erbracht werden. Und mitten in dieses System wurde im Jahr 1996 das Instrument des persönlichen Budgets eingeführt.<br />

Hinter dieser Neuerung standen die Gr<strong>und</strong>idee <strong>und</strong> die Absicht, den Fokus vom Angebot zur Nachfrage zu verschieben <strong>und</strong> dem<br />

Patienten die Organisation seiner eigenen Pflege zu übergeben.<br />

Ein persönliches Pflegebudget besteht aus einer bestimmten Summe Geld, das einer Person zusteht, welche eine Langzeitpflege braucht,<br />

damit sie daraus die Pflege ihrer Wahl bezahlen kann. Das Budget wird nach einem Aufnahmegespräch <strong>und</strong> einer Beurteilung durch<br />

eine Kommission festgelegt, welche <strong>für</strong> die Indikation zuständig ist. Selbstverständlich hat der Budgetinhaber nicht nur Rechte, sondern<br />

auch Verpflichtungen. Um ehrlich zu sein: Ein Budgetinhaber muss ziemlich gut umgehen können mit Administration <strong>und</strong> Berechnungen,<br />

um mit diesem System zurecht zu kommen. Er muss eine Buchhaltung führen, um in der Lage zu sein, seine Ausgaben zu erklären.<br />

Weil das System also nicht <strong>für</strong> jedermann tauglich ist, muss betont werden, dass die Klienten immer die Wahl haben, ob sie die Pflege<br />

in Form von konkreten Dienstleistungen oder als persönliches Budget wünschen.<br />

Während der letzten fünf Jahre hat sich das persönliche Pflegebudget als populäres Instrument erwiesen. Am 31. Dezember 2002<br />

machten 48039 Personen von dieser Möglichkeit Gebrauch, ein Jahr zuvor lag die Zahl bei 36582 Personen. Bis zum 1. April dieses<br />

Jahres gab es drei verschiedene Arten von persönlichen Pflegebudgets: eines, das die Hauspflege deckte, eines war bestimmt <strong>für</strong> geistig<br />

behinderte Menschen <strong>und</strong> das dritte <strong>für</strong> psychiatrische Dienste. Heute sind die drei Budgets in einem zusammengefasst. Vor dem<br />

1. April 2003 waren die Budgetinhaber nicht berechtigt, die Leistungserbringer direkt zu bezahlen. Die Zahlungen wurden – auf<br />

Veranlassung der Budgetinhaber selbstverständlich – durch die nationale holländische Sozialversicherungsbank ausgeführt. Heute<br />

können die Budgetinhaber als freie Auftraggeber handeln oder auch den Service der nationalen Sozialversicherungsbank nutzen. Es<br />

sieht also so aus, als wäre dies eine Erfolgsgeschichte!<br />

Dennoch gibt es einige Probleme: Obwohl der Patient mit einem persönlichen Budget die Wahlfreiheit hat, sind noch einige Fragen<br />

ungeklärt. Zum Beispiel: Wer leistet die Pflege, die im Einzelfall angefordert wird? Und wann wird diese Pflege geleistet? Um acht Uhr<br />

morgens oder um vier Uhr am Nachmittag? Wo wird die Pflege erbracht? Zu Hause oder irgendwo sonst? Das System <strong>und</strong> das Instrument<br />

erlauben jedoch flexible Lösungen <strong>für</strong> diese Fragen. Klient <strong>und</strong> Pflegeanbieter können über Bedingungen <strong>und</strong> Preise verhandeln.<br />

Aber zentral bleibt, dass der Klient im Zentrum des Systems steht, schließlich er es ja, der <strong>für</strong> die Leistungen aufkommt. Das persönliche<br />

Budget soll eine positive Alternative zur Sachleistung sein.<br />

Seit der Revision vom 1. April 2003 unterscheidet das Gesetz <strong>für</strong> die Regelung von Kosten <strong>für</strong> spezielle medizinische Ausgaben<br />

(Exceptional Medical Expenses Act) sieben verschiedene Leistungskategorien <strong>für</strong> Personen in Langzeitpflege:<br />

- Hauspflege<br />

- persönliche Pflege (Aktivitäten des täglichen Lebens)<br />

- Krankenpflege<br />

- unterstützende Betreuung<br />

- aktivierende Betreuung<br />

- Behandlung <strong>und</strong><br />

- stationäre Pflege, Unterbringung.<br />

Zu den letzten beiden, der Behandlung <strong>und</strong> der Unterbringung, ist der Zugang über das persönliche Budget allerdings nicht möglich.<br />

Die Gründe da<strong>für</strong> sind meistens technischer Art: Es ist z.B. wegen der unterschiedlicher Versorgung nicht möglich, <strong>für</strong> eine Behandlung<br />

einen einheitlichen Preis festzulegen. Und es gibt alte <strong>und</strong> neue Pflegeheime, weshalb <strong>für</strong> die Unterbringung dasselbe gilt.<br />

Wie funktioniert nun die gesamte Kette der Pflegeangebote <strong>für</strong> die Budgetinhaber, der die Leistungen beantragt? Am Anfang steht die<br />

Abklärung des Bedarfs, die das Zugangsticket zu den Pflegeleistungen darstellt. Zu diesem Zeitpunkt ist es noch nicht relevant, ob ein<br />

Klient die Pflege als Sachleistung oder über ein persönliches Budget wünscht. Er braucht Pflege <strong>und</strong> häufig benötigt er sie dringend,<br />

unabhängig davon, von wo er sie empfängt oder von wem. Der nächste Schritt in diesem Prozess ist der Entscheid des Klienten zwischen<br />

einer direkten Sachleistung oder einem persönlichen Pflegebudget, was eine gründliche Information über die Möglichkeiten voraussetzt.<br />

Wenn ein Klient das persönliche Budget wählt, bewilligt ihm das regionale Ges<strong>und</strong>heitspflegebüro ein Budget, das seinen<br />

festgestellten Bedürfnissen entspricht. Mit diesem Budget kann der Klient nun nach einem Anbieter suchen. Es müssen Verträge über<br />

Arbeitsst<strong>und</strong>en, Bedingungen, Preise etc. geschlossen werden, <strong>und</strong> nach getaner Arbeit muss der Budgetinhaber den Erbringer der<br />

Leistungen bezahlen. Der Inhaber des persönlichen Pflegebudgets ist gehalten, über den Zahlungsverkehr Buch zu führen, um über die<br />

Ausgaben Rechenschaft ablegen zu können. Das Geld darf nur <strong>für</strong> versicherte Pflegeleistungen im Sinne der oben erwähnten fünf<br />

Kategorien verwendet werden. Das Ges<strong>und</strong>heitspflegebüro entscheidet darüber, ob die Ausgaben zu Recht erfolgt sind oder nicht, <strong>und</strong><br />

in besonderen Fällen kann einem Klienten das persönliche Budget auch entzogen werden.<br />

Bei älteren Leuten ist das persönliche Budget <strong>für</strong> die Hauspflege bei weitem das populärste: Fast 73 % aller Budgetinhaber empfangen<br />

Geld <strong>für</strong> die Hauspflege. Im Jahre 2001 wurden in Holland aus den persönlichen Pflegebudgets 313 Millionen Euro aufgewendet. Von<br />

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