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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Thesenpapier zur Podiumsdiskussion: Herausforderungen bürgerschaftlicher Reformpolitik<br />

Ludwig Pott<br />

1. Im Diskurs des bürgerschaftlichen Engagements wird beteuert, dass die Bürgergesellschaft nicht als Ausfallbürge <strong>für</strong> den Sozialstaat<br />

einspringen darf. Nicht die sozialen Notlagen <strong>und</strong> die knappen <strong>öffentliche</strong>n Kassen sollen dem bürgerschaftlichen Engagement die<br />

Feder führen. Trotzdem wächst der Argwohn, dass genau dies geschieht. In den neuen Ländern ist die Erledigung <strong>öffentliche</strong>r<br />

Aufgaben durch Bürgerengagement bereits gängige Praxis. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens darüber, was künftig<br />

staatliche Aufgaben sein sollen <strong>und</strong> was in Verantwortung <strong>und</strong> Zuständigkeit der Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger liegt. Es geht um<br />

ordnungspolitische Vorstellungen, wie Sozialstaat, Wirtschaft <strong>und</strong> Bürgergesellschaft ineinander wirken können. Wie diese<br />

Beziehung im Sinne einer Koproduktion sozialer Leistungen konkret aussehen könnte, ist bislang mehr als vage. Deshalb wird man<br />

um eine offene Debatte nicht herum kommen, wo die Grenze zwischen einem selbstbestimmten Bürgerengagement <strong>und</strong> der<br />

Funktionalisierung <strong>für</strong> die notwendige Schlankheitskur des Staates liegen soll. Wir müssen heraus aus der veredelten Diskussion um<br />

die Bürgergesellschaft.<br />

2. Wer finanziell mit dem Rücken zur Wand steht – ob als einzelner Bürger, ob als Projekt oder <strong>Verein</strong> –, <strong>für</strong> den hält sich der Jubel über<br />

den visionären Glanz der Bürgergesellschaft in Grenzen. Die Idee vom Eigensinn des Bürgerengagements stößt in der Praxis an sehr<br />

konkrete Grenzen. Nur eine strenge Kosten-Nutzen-Betrachtung wird Kommunen dazu bringen, Finanzmittel zur Verfügung zu<br />

stellen.<br />

3. Nachhaltige Förderstrukturen <strong>für</strong> bürgerschaftliches Engagement sind mehr als Finanzierungsregelungen. Ein wichtiger Aspekt der<br />

Ermöglichung bürgerschaftlichen Engagements ist die stärkere Bürgerorientierung von Vorschriften <strong>und</strong> Verfahren. Bürokratische<br />

Auflagen <strong>für</strong> einfachste Vorhaben können Bürger mitunter in den Wahnsinn treiben. Außerdem hat kein Mensch Lust, auf den Gängen<br />

der Ämter herumzuirren, weil keine Dienststelle <strong>für</strong> ein Bürgeranliegen zuständig ist. Das passt nicht zu einer glaubwürdigen<br />

Anerkennung <strong>und</strong> Wertschätzung des Bürgerengagements.<br />

4. Freiwillige haben ein gutes Gespür da<strong>für</strong>, ob sie mit ihrer Engagementbereitschaft <strong>und</strong> ihren Ideen <strong>und</strong> Anliegen willkommen sind<br />

oder sich vorrangig in das schon immer Dagewesene einfädeln sollen. Das führt ins Innenleben vieler <strong>Verein</strong>e. Wir brauchen sie<br />

dringend, die <strong>Verein</strong>e, weil Bürgerengagement auf stabile Strukturen, auf Kontinuität <strong>und</strong> Verlässlichkeit nicht verzichten kann. Von<br />

ihren Entscheidungen darüber, wie die jeweilige <strong>Verein</strong>sarbeit angelegt <strong>und</strong> ggf. verändert oder erneuert werden soll, hängen die<br />

Möglichkeiten des Engagements <strong>und</strong> letztlich auch die Bindungsbereitschaft wesentlich ab.<br />

5. Freiwillige sind keine verfügbaren Hilfskräfte, sie wollen keine eigentliche Arbeit „ergänzen“, nicht Handlanger sein. Eine verbesserte<br />

Kooperation von engagierten Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürgern <strong>und</strong> hauptamtlichen Kräften ist dann zu erwarten, wenn Organisationen,<br />

Einrichtungen <strong>und</strong> Dienste die Dimension der bürgerschaftlichen Mitwirkung systematisch in ihre Arbeit einbeziehen.<br />

6. Der Ruf nach Qualifizierung von Freiwilligen vermittelt mitunter den Eindruck, als könnte man sich erst dann halbwegs anspruchsvoll<br />

engagieren, wenn man Fortbildungsreihen durchlaufen hat <strong>und</strong> am besten noch ein Zertifikat vorlegen kann. Sicher gibt es<br />

Engagementbereiche, wo dies höchst sinnvoll <strong>und</strong> notwendig ist. Und ebenso wenig ist in Frage zu stellen, dass auf persönliche<br />

Qualifizierungswünsche von Freiwilligen einzugehen ist, zumal es auch Anreiz oder eine Form der Anerkennung <strong>für</strong> Geleistetes sein<br />

kann. Ansonsten sollte man an dem Gedanken festhalten, dass Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger mit Lebenserfahrung, etwas Geschick <strong>und</strong><br />

Menschenverstand <strong>für</strong> sehr viele Aufgabenstellungen bereits ausreichend qualifiziert sind. Es sei denn, mit Freiwilligen soll tatsächlich<br />

schleichend in Bereiche vorgedrungen werden, <strong>für</strong> die Fachkräfte eine mehrjährige Ausbildung brauchen, aber zu teuer sind.<br />

7. Ob hauptamtliche Kräfte automatisch durch ihre Ausbildung entsprechend qualifiziert sind, um mit Freiwilligen gemeinsam zu<br />

planen <strong>und</strong> zu arbeiten, ist zu bezweifeln. Solche Fähigkeiten werden zunehmend zum Anforderungsprofil <strong>für</strong> Fachkräfte zählen<br />

<strong>und</strong> das Selbstverständnis in sozialen Berufen verändern. Diese Qualifizierung ist notwendiger Teil einer Infrastruktur <strong>für</strong> bürgerschaftliches<br />

Engagement.<br />

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