Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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aussehen, welche Herausforderungen <strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong> Erziehung sie enthalten <strong>und</strong> wie viel Staat, wie viel <strong>öffentliche</strong> Verantwortung<br />
<strong>für</strong> ihre Bewältigung notwendig sind.<br />
3. Gesellschaft vor neuen Herausforderungen<br />
Seit gut 30 Jahren ist ein sich beschleunigender Wandel unserer Gesellschaft zu beobachten, der sich in unterschiedlichen Bereichen<br />
mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aber auch mit unterschiedlichem Beharrungsvermögen vollzieht. Obwohl die Sozialwissenschaft<br />
davon ausgeht, dass wir mit unseren heutigen Forschungsmethoden <strong>und</strong> -instrumenten nur schwer erfassen können, was sich alles<br />
wie verändern wird, können wir auf Gr<strong>und</strong> der bislang vorliegenden Erkenntnisse doch annehmen, dass die Gesellschaft der Zukunft<br />
• eine Wissensgesellschaft sein wird, in der Intelligenz, Neugier, Lernen wollen <strong>und</strong> können, Problemlösen <strong>und</strong> Kreativität eine wichtige<br />
Rolle spielen;<br />
• eine Risikogesellschaft sein wird, in der die Biografie flexibel gehalten <strong>und</strong> trotzdem Identität gewahrt werden muss, in der der<br />
Umgang mit Ungewissheit ertragen werden muss, <strong>und</strong> in der Menschen ohne kollektive Selbstorganisation <strong>und</strong> individuelle Verantwortlichkeit<br />
scheitern können;<br />
• eine Arbeitsgesellschaft bleiben wird, der die Arbeit nicht ausgegangen ist, in der aber immer höhere Anforderungen an die Menschen<br />
gestellt werden, dabei zu sein;<br />
• eine alternde Gesellschaft sein wird, in der aufgr<strong>und</strong> der demographischen Entwicklung sich das Generationenverhältnis einschneidend ändern<br />
<strong>und</strong> neue Formen der Lastenverteilung, der Generationengerechtigkeit <strong>und</strong> Generationensolidarität entwickelt werden müssen;<br />
• eine demokratische Gesellschaft bleiben muss, in der die Menschen an politischen Diskursen teilnehmen <strong>und</strong> frei ihre Meinung<br />
vertreten können, <strong>öffentliche</strong> Belange zu ihren Angelegenheiten machen, der Versuchung von F<strong>und</strong>amentalismen <strong>und</strong> Extremen<br />
widerstehen <strong>und</strong> bei allen Meinungsverschiedenheiten Mehrheitsentscheidungen respektieren;<br />
• als Zivilgesellschaft gestärkt werden soll, mit vielfältigen Formen der Partizipation, Solidarität, sozialen Netzen <strong>und</strong> Kooperation der<br />
Bürger, egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft, welchen Berufs <strong>und</strong> welchen Alters;<br />
• eine Einwanderungsgesellschaft bleiben wird, in der Menschen verschiedener Herkunft, Religion, Kultur <strong>und</strong> Tradition integriert<br />
werden müssen, vorhandene Konflikte <strong>und</strong> Vorurteile überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Formen des miteinander Lebens <strong>und</strong> Arbeitens entwickelt<br />
werden müssen, die es allen erlauben, ihre jeweilige Kultur zu pflegen, aber auch sich wechselseitig zu bereichern!<br />
Alle diese Gesellschaftsmodelle <strong>und</strong> Trends verlangen von den Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürgern komplexe Kompetenzen der individuellen<br />
Lebensführung <strong>und</strong> des sozialen Zusammenlebens. Sie setzen Bildung <strong>und</strong> Gebildetsein voraus. Gleichgültig nach welchem der<br />
genannten Modelle mögliche Zukünfte gedacht werden, in allen wird klar <strong>und</strong> deutlich: <strong>für</strong> die Sicherung ihres Bestandes wie <strong>für</strong> ihre<br />
Perspektiven ist Gesellschaft auf Bildung angewiesen. Von Bildung als gesellschaftlicher Bildung hängen entscheidend der Bestand<br />
demokratischer Kultur, die Tragfähigkeit des sozialen Zusammenhanges <strong>und</strong> der gesellschaftlichen Solidarität, die Akzeptanz der<br />
zentralen Werte <strong>und</strong> Regeln der Zivilisation unserer Gesellschaft ab. Nicht allein „Wissen“, sondern „Bildung“ in einem umfassenden<br />
Sinn sichert den Standort Deutschland <strong>und</strong> die Zukunft unserer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern Teilhabe <strong>und</strong> Selbstbestimmung<br />
zugleich sichert.<br />
4. Die Menschen vor den Herausforderungen der Zukunft<br />
In einer Gesellschaft, in der die institutionellen „Geländer der Lebensführung“ immer weniger verlässlich biografische Planungen<br />
stützen können <strong>und</strong> Verläufe in mögliche Zukünfte tendenziell unkalkulierbar werden, wird Bildung auch <strong>für</strong> die alltägliche Lebensbewältigung<br />
der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen zur entscheidenden <strong>und</strong> unverzichtbaren Ressource.<br />
Die Nachkriegsgeschichte der Familie weist zunächst einen dominanten Trend zur sog. „Gattenfamilie“ (Ehepaar mit wenigstens einem<br />
Kind) auf. Die Form der Drei- bzw. Mehrgenerationen-Familie macht heute nur noch eine verschwindend kleine Minderheit aller Haushalte<br />
aus (1997: 2,1 %). Familie bezeichnet deshalb heute nicht mehr einen Ort des Zusammenlebens mehrerer Generationen, sondern<br />
einen „Kleinfamilienhaushalt“ mit weiter gewordenen verwandtschaftlichen Bezügen.<br />
Aber auch die Gattenfamilie ist deutlich im Rückgang begriffen. Ihr Anteil an allen Haushalten sank auf nur noch ein Drittel. Ursächlich<br />
hier<strong>für</strong> ist sowohl die Abnahme der „Heiratsneigung“ wie die wachsende Anzahl Kinderloser.<br />
Als Folge hiervon hat der Anteil der Einzelkinder zugenommen. Hierdurch ergibt sich <strong>für</strong> die Jugendhilfe ein besonderer Handlungsbedarf.<br />
Denn Einzelkinder sind auf Gleichaltrigenkontakte außerhalb der Familie angewiesen, sei es auf Kontakte in den informellen<br />
Cliquen, sei es in institutionellen Angeboten der Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit oder auf dem expandierenden Markt kommerzieller Angebote<br />
(in Freizeit- <strong>und</strong> Spielfarmen, Clubs, Sport- <strong>und</strong> Kulturangeboten usw.).<br />
Diese „Entlastungsmöglichkeiten“ in der Gleichaltrigengeselligkeit werden auch deshalb wichtiger, weil die Einzelkinder in einer<br />
familiären Kommunikationsstruktur leben, die von ihren Eltern dominiert wird, in der das Kind die an Kinder gerichteten Wünsche <strong>und</strong><br />
Erwartungen der Eltern alleine zu erfüllen hat. Gerade in Konfliktsituationen mit den Eltern haben diese Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen wenig<br />
Entlastungs- <strong>und</strong> Unterstützungsmöglichkeiten durch Geschwister.<br />
Die Notwendigkeit zu solchen infrastrukturellen Leistungen als neuem Aufgaben-schwerpunkt in der Jugendhilfe wird auch deutlich,<br />
wenn man sich folgendes vor Augen hält: Die Kinder von Einzelkindern werden onkel- oder tantenlos aufwachsen <strong>und</strong> keine Cousinen<br />
oder Cousins haben, also die ersten Schritte zur Lockerung der Einbindung in die Herkunftsfamilie (Ferien bei Onkel oder Tante, Reisen<br />
mit Cousinen oder Cousins) nicht mehr innerhalb verwandtschaftlicher Strukturen machen können. Wir gehen – wie Reinhard Lempp<br />
schon vor Jahren geschrieben hat – auf die „onkellose Gesellschaft“ zu.<br />
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