Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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Konsequentere Umsetzung des Gr<strong>und</strong>satzes „ambulant vor stationär“<br />
Damit würde auch ein Beitrag zu einer konsequenteren Umsetzung des Gr<strong>und</strong>satzes „ambulant vor stationär"“geleistet. Dieser Gr<strong>und</strong>satz<br />
gilt <strong>für</strong> die Kranken-, Renten- <strong>und</strong> Pflegeversicherung ebenso wie <strong>für</strong> die Sozialhilfe.<br />
Wir wissen aus unseren K<strong>und</strong>enbefragungen, dass alte Menschen möglichst lange in ihrer Familie bzw. Wohnung bleiben wollen. In<br />
die stationäre Einrichtung geht man eigentlich erst, wenn es nicht anders geht. Ich glaube, das erlebt jeder von uns auch in Gesprächen,<br />
die er in seinem eigenen Umfeld führt. Zu diesen eigenen Erfahrungen gehört aber auch das Erleben der großen Belastungen <strong>für</strong> die<br />
pflegenden Angehörigen.<br />
Wir brauchen Unterstützungssysteme, die den Verbleib in der gewohnten Umgebung auch bei schwerster Pflegebedürftigkeit<br />
ermöglichen. Erforderlich ist, die teilstationären <strong>und</strong> ambulanten Strukturen so aus- <strong>und</strong> umzubauen, dass helfende Strukturen <strong>für</strong> die<br />
Pflegebedürftigen <strong>und</strong> die Pflegenden entstehen.<br />
Zunehmend setzt sich die Überzeugung durch, dass es dem Pflegebedürftigen selbst überlassen werden sollte, die <strong>für</strong> ihn geeigneten<br />
Leistungen zu bestimmen <strong>und</strong> einzukaufen. Das setzt eine stärkere Flexibilität des gesetzlichen Leistungsangebots voraus. Individuelle<br />
Leistungsbudgets erhalten in diesem Zusammenhang ihren Reiz. Sie müssten einhergehen mit einer neuen Bewertungssystematik des<br />
Hilfebedarfs.<br />
Überdacht werden muss die in vielen B<strong>und</strong>esländern praktizierte Investitionsförderung, die lediglich den stationären, aber nicht den<br />
ambulanten Bereich fördert. Sie steht der Stärkung der ambulanten Pflege im Wege.<br />
Aktivierende Pflege als Parameter von Fachlichkeit <strong>und</strong> Selbstbestimmung<br />
Näher zu untersuchen sind aber auch die Einsparpotenziale im vollstationären Bereich. So wurde beispielsweise im Rahmen der<br />
modellhaften Anwendung des international anerkannten Pflegeplanungsinstruments P.L.A.I.S.I.R.® im Kreis Segeberg festgestellt, dass<br />
<strong>für</strong> 30 % der Heimbewohner Hilfen vollständig übernommen werden, zu denen sie selbst noch in der Lage wären.<br />
Immer wieder wird auf die Möglichkeiten einer erfolgreichen Rehabilitation verwiesen. Allerdings fehlt uns nach wie vor eine ausreichende<br />
Infrastruktur gerade im Bereich der geriatrischen Rehabilitation. Auch sind die behandelnden Ärzte vielfach noch immer nicht<br />
genügend qualifiziert, um die Möglichkeiten geriatrischer Rehabilitation zu kennen, zu erkennen <strong>und</strong> zu verordnen. Sogar der Herr<br />
B<strong>und</strong>espräsident hat daher anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des KDA gefordert, den Fragen der Altersmedizin in der ärztlichen<br />
Fortbildung einen höheren Stellenwert zu geben.<br />
Beeindruckend sind allerdings auch die Studien, die sich mit den medizinischen <strong>und</strong> funktionellen Wirkungen nach einer geriatrischen<br />
Reha im Langzeitverlauf befassen. Danach kann ein durch die geriatrische Reha erreichter, im Barthel-Index messbarer funktionaler<br />
Zugewinn nach einem Jahr wieder um mehr als die Hälfte abgefallen sein. Dies erklärt sich u.a. durch eine unzureichende aktivierende<br />
Pflege. Ergebnisse der MDK-Qualitätsprüfungen zeigen deutlich, dass einer der häufigsten Qualitätsmängel die „passivierende Pflege“<br />
ist. Eine Mobilisierung oder Aktivierung der Pflegebedürftigen findet konzeptionell diffus <strong>und</strong> nicht ausreichend statt. Diese „passivierende<br />
Pflege“ erhöht wiederum den Reha-Bedarf von Pflegebedürftigen <strong>und</strong> setzt eine Spirale in Gang, die in der „Bettlägerigkeit“<br />
endet <strong>und</strong> letztlich mit mehr Personalbedarf bewältigt werden muss. Hier kommt es durch falsch verstandene Professionalität in der<br />
Pflege nicht nur kurzfristig zu unfachlichen Ergebnissen, sondern mittel- <strong>und</strong> langfristig auch zu höheren Kosten.<br />
Meines Erachtens ist es dringend erforderlich, hier andere Anreize zu setzen. Das derzeitige Leistungs- <strong>und</strong> Vergütungssystem ist auf<br />
eine progrediente Zunahme der Pflegebedürftigkeit ausgerichtet. Minderung des Pflegebedarfs wird durch Leistungs- <strong>und</strong> Vergütungsminderung<br />
„bestraft“. Erforderlich ist es, erfolgreiche Rehabilitation z.B. dadurch zu belohnen, dass der Versicherte <strong>und</strong> die Pflegeeinrichtung<br />
die höheren Leistungs- <strong>und</strong> Vergütungssätze <strong>für</strong> einen längeren Zeitraum behalten.<br />
Nutzung des bürgerschaftlichen Engagements<br />
Die bedürfnisorientierte Versorgung von Pflegebedürftigen erfordert eine gr<strong>und</strong>legende Reform des Verständnisses, wer pflegt <strong>und</strong> wie<br />
Pflege abläuft.<br />
Die Einführung der Pflegeversicherung hat die Verrechtlichung <strong>und</strong> Professionalisierung insbesondere im Bereich der stationären Pflege<br />
forciert. Verhindert wird dadurch die Nutzung von Selbsthilfepotenzialen. Einer Studie zufolge könnten 20 % der Kosten im stationären<br />
Bereich durch die Integration der Gemeinwesenarbeit <strong>und</strong> der Mithilfe von ehrenamtlichen Personen eingespart werden. Dabei ist<br />
berücksichtigt, dass Ehrenamtlichkeit nicht kostenlos zu erhalten ist. Zudem ist Schulung <strong>und</strong> Supervision der Ehrenamtlichen eine<br />
hochqualifizierte professionelle Tätigkeit.<br />
Die Integration von Ehrenamtlichkeit führt aber vor allem dazu, dass sich das Pflegeheim nach außen öffnet. Damit kehrt Normalität<br />
des Alltags in die Pflegeheime ein. Gerade demente Menschen werden davon erheblich profitieren. Ein erster kleiner Schritt auf diesem<br />
Wege wäre getan, wenn Pflegeheime selbstverständlicher akzeptieren würden, dass Angehörige auch dort ihre pflegebedürftigen Eltern,<br />
Großeltern oder sonstige Verwandte umsorgen wollen <strong>und</strong> können.<br />
Funktionierender Wettbewerb als Chance <strong>für</strong> sinnvolle Weiterentwicklungen<br />
Generell sind Veränderungen der Situation ganz wesentlich davon abhängig, dass die Träger der Pflegeeinrichtungen Änderungen in<br />
der Struktur, im Prozess <strong>und</strong> im Ergebnis ihrer Tätigkeit als ihr Eigeninteresse begreifen, um auf dem Pflegemarkt konkurrenzfähig zu<br />
bleiben.<br />
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