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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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3. Fallbeispiel Mohammed<br />

3.1 Ausgangslage<br />

Herr Vogel lebt mit seinen beiden Kindern Mohammed <strong>und</strong> Fatma allein erziehend in einem Nordstuttgarter Stadtteil. Herr Vogel lässt<br />

sich 1998 von seiner Frau, die er 1986 bei einem Auslandseinsatz als Ingenieur in Saudi Arabien kennen gelernt hat, scheiden. Die Trennung<br />

verläuft sehr konflikthaft mit vielen Vorwürfen, teilweise taucht die Frau monatelang unter.<br />

Mohammed, 11 Jahre alt, ist in Saudi Arabien geboren. Mit zwei Jahren kam er nach Deutschland, 1995 zieht die Familie nochmals <strong>für</strong><br />

eineinhalb Jahre ins Ausland. Schon bald nach der Einschulung gibt es massive Probleme, Mohammed muss zum 2. Schuljahr in eine Förderschule<br />

E. Er wird dort ausgeschlossen, weil sein Verhalten nicht mehr tragbar ist. Er kann sich während des Unterrichts an keine Regeln<br />

halten (essen, rumlaufen, Leistungsverweigerung, weglaufen). Auf Initiative des Vaters bekommt er probeweise einen Platz an einer<br />

Regelgr<strong>und</strong>schule. Auch in der Kindertageseinrichtung (Kita) ist Mohammeds Verhalten auffällig. Herr Vogel fühlt sich überfordert <strong>und</strong><br />

hilflos <strong>und</strong> nimmt Kontakt zum ASD auf.<br />

Ein übliches Vorgehen in so einem Fall wäre bisher gewesen:<br />

1. Der ASD nimmt Kontakt zu Schule, Kita <strong>und</strong> Lehrern auf <strong>und</strong> führt Beratungsgespräche.<br />

2. Der ASD macht daraufhin eine Bedarfsanalyse <strong>und</strong> einen Vorschlag <strong>für</strong> eine Jugendhilfemaßnahme. Dieser Vorschlag hängt auch davon<br />

ab, ob <strong>und</strong> wo freie Plätze zur Verfügung stehen.<br />

3. In dem Beispiel Mohammed wäre als Lösung wahrscheinlich die Unterbringung in einer Tagesgruppe, evt. auch stationäre<br />

Erziehungshilfe vorgeschlagen worden. Vermutlich wäre es auch zu einer erneuten Einschulung in einer E-Schule gekommen.<br />

In unserem Fallbeispiel wurde anders vorgegangen:<br />

3.2 Neue Wege in der Hilfeplanung<br />

Der Mitarbeiter des ASD nimmt Kontakt zu allen Beteiligten auf. Es ist seine Aufgabe, neben der Problemdefinition den Blick auf die<br />

Ressourcen der Betroffenen <strong>und</strong> deren Umfeld zu legen.<br />

Folgende Stärken wurden benannt:<br />

Mohammed:<br />

- Mohammed ist sehr sportlich <strong>und</strong> aktiv,<br />

- spielt sehr gerne Fußball,<br />

- er will auf jeden Fall in Regelgr<strong>und</strong>schule bleiben,<br />

- er versteht sich gut mit seiner Schwester, passt oft auf sie auf – teilweise fühlt er sich dadurch auch überfordert,<br />

- die Lehrerin beschreibt ihn als sehr intelligent;<br />

Vater:<br />

- ist selbstständig tätig <strong>und</strong> damit finanziell unabhängig,<br />

- ist sehr engagiert <strong>und</strong> setzt sich <strong>für</strong> seine Kinder ein (z.B. Schule),<br />

- holt sich Unterstützung <strong>und</strong> Beratung.<br />

Kita:<br />

- Mohammed hat eine sehr gute Beziehung zu seiner Gruppenleitern, er will unbedingt dort bleiben, sogar mehr Zeit dort verbringen.<br />

Der ASD-Mitarbeiter bringt den Fall ins Stadtteilteam ein. Das STT trifft sich einmal wöchentlich <strong>für</strong> drei St<strong>und</strong>en. Dort sitzen alle<br />

ASD-Mitarbeiter, die Wirtschaftliche Jugendhilfe <strong>und</strong> die Mitarbeiter des Trägers, die in diesem Bereich zuständig sind.<br />

Fälle werden dort nach einem festgelegten Ablaufschema besprochen. Eine Person übernimmt während des gesamten Prozesses die<br />

Rolle der Betroffenen. Nach der Falldarstellung erfolgt eine Ideenbörse, wo es um Ideen, mögliche Ressourcen <strong>und</strong> den Willen der<br />

Betroffenen geht. Anschließend werden diese Ideen von der Person, die den Betroffenen vertritt, kommentiert. Erst dann erfolgt die<br />

Konkretisierung der Ideen. Durch diese enge Zusammenarbeit wird die Beziehung zwischen ASD, Wirtschaftlicher Jugendhilfe <strong>und</strong><br />

Trägerseite f<strong>und</strong>amental verändert. In der Hilfekonferenz werden mit den Beteiligten die Ideen abgestimmt <strong>und</strong> die konkreten Hilfen<br />

geplant. Hilfesettings werden in gleichberechtigter, gegenseitiger kollegialer Beratung entwickelt. Die Hilfeplanung wird alle drei Monate<br />

an Veränderungen des Bedarfs angepasst <strong>und</strong> neu diskutiert.<br />

3.3. Der Maßanzug<br />

3.3.1 Gruppenarbeit in der Kindertageseinrichtung<br />

Wie oben beschrieben war es der klar formulierte Wille von Mohammed <strong>und</strong> dessen Vater, dass er weiter die Kita besuchen kann. Er<br />

hat eine sehr gute Beziehung zu seiner Gruppenleiterin. Andererseits kamen von Seiten der Kita klare Signale, dass das Personal mit<br />

den Auffälligkeiten Mohammeds überfordert <strong>und</strong> er in der Großgruppe fast nicht mehr tragbar sei.<br />

Das Ergebnis der Hilfeplanung war, dass im Tagheim eine Kleingruppe mit Mohammed <strong>und</strong> vier weiteren Jungs gebildet wurde. Die<br />

Gruppe wurde einmal die Woche nachmittags von dem Jugendhilfemitarbeiter betreut. Etwa vierzehntägig fanden Reflexionsgespräche<br />

mit der Gruppenleiterin statt. Die Zielsetzung war einerseits soziales Lernen mit Mohammed in einem kleinen, überschaubaren Rahmen<br />

<strong>und</strong> andererseits eine Entlastung der Tagheimmitarbeiterinnen. Natürlich geschehen Veränderungsprozesse bei Kindern nur in kleinen,<br />

oft kaum spürbaren Schritten; mit dieser Hilfeform konnte allerdings erreicht werden, dass die Kita einen weiteren Verbleib von<br />

Mohammed unterstützte <strong>und</strong> ein Beziehungsabbruch vermieden wurde.<br />

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