Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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3.3 Umfang von ALG II<br />
Was den konkreten Umfang der neuen Leistung anbetrifft, so ist der Bericht relativ knapp ausgefallen, wenn es u.a. heißt, dass „eine<br />
weitgehende Pauschalierung angestrebt wird (<strong>und</strong>) dabei ... Erhöhungen der steuerfrei zu stellenden Existenzminima zu vermeiden“<br />
sind. Wenn in den Diskussionen darauf hingewiesen wurde, dass es sich um eine schlanke, pauschalierte, möglichst einfache Leistung<br />
handeln solle, was bei ca. 4–5 Mio. Empfänger der neuen Leistung gegenüber ca. 1,34 Mio. Arbeitslosenhilfeempfänger auch<br />
notwendig sein muss, so werden in einem internen Papier des Deutschen <strong>Verein</strong>s zu Recht die Fragen nach der Bemessung des<br />
Regelsatzes, der Mehrbedarfe, der Kosten der Unterkunft sowie der Absicherung der Haushaltsangehörigen gestellt.<br />
Insofern besteht ein unmittelbarer Zusammenhang <strong>und</strong> Abstimmungsbedarf mit der geplanten Sozialhilfereform.<br />
4. Verhältnis zur Sozialhilfe <strong>und</strong> Umfang des Personenkreises<br />
Was das Verhältnis zur Sozialhilfe anbetrifft, so gehe ich davon aus, dass sich die Bemessung der Gr<strong>und</strong>leistung von ALG II an der<br />
Sozialhilfe, die weiterhin das soziokulturelle Existenzminimum bestimmt, als Referenzleistung orientiert. Ob <strong>und</strong> in welchem Umfang<br />
unter bestimmten Voraussetzungen einzelne lebenslagenbezogene Sozialhilfetatbestände eingreifen werden, bedarf noch der Abklärung.<br />
Ich will nicht verhehlen, dass es hinsichtlich der künftigen Funktion <strong>und</strong> Aufgabe der Sozialhilfe (HLU) unterschiedliche Auffassungen<br />
gegeben hat <strong>und</strong> noch gibt. Da die neue Leistung – entsprechend dem Hartz-Bericht – alle erhalten sollen, die erwerbsfähig <strong>und</strong> hilfebedürftig<br />
sind, ist der Begriff der Erwerbsfähigkeit ein wichtiges Zuordnungsmerkmal. Dabei wird – sich orientierend an der im<br />
Rentenrecht bestehenden Negativabgrenzung – davon ausgegangen, dass alle nicht voll erwerbsgeminderten Personen erwerbsfähig<br />
sind; nach dem SGB VI ist eine Person voll erwerbsgemindert, wenn die medizinisch zu bestimmende Leistungsfähigkeit <strong>für</strong> Tätigkeiten<br />
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes weniger als drei St<strong>und</strong>en beträgt.<br />
Stellt man allein auf dieses formale Kriterium ab <strong>und</strong> berücksichtigt nicht, wie Hartz es macht, auch die Verfügbarkeit <strong>und</strong> Zumutbarkeit<br />
der Arbeitsaufnahme, so werden auch Personengruppen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, aber auch Arbeitslosenhilfeempfänger<br />
mit mehr als 20-jähriger Bezugszeit, in diese neue Leistung einbezogen, die doch eigentlich auf eine möglichst rasche<br />
Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt abzielen soll.<br />
Es wird sicherlich zusätzlicher Anstrengungen aller Beteiligten bedürfen, damit sich dies nicht negativ auf die verfolgten Ziele <strong>für</strong> die<br />
Betroffenen, aber auch <strong>für</strong> diejenigen auswirkt, die die neue Leistung administrieren <strong>und</strong> den deutlich größer gewordenen Personenkreis<br />
im Job-Center betreuen müssen.<br />
Kontrovers wurde auch in der Arbeitsgruppe diskutiert, ob Personen, die zwar nach dieser Definition erwerbsfähig sind, denen aber eine<br />
Erwerbstätigkeit z.B. wegen der Erziehung eines kleinen Kindes oder der Pflege eines Angehörigen nach geltendem Sozialhilferecht<br />
nicht zugemutet werden kann, ebenfalls in die neue Leistung einbezogen werden sollten. Eine Mehrheit hat sich da<strong>für</strong> ausgesprochen;<br />
obwohl in den Berechnungen unterstellt wurde, dass 75 % aller erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger, die diese Voraussetzungen<br />
erfüllen, nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen wollen.<br />
Personen, die mit einem Bezieher von ALG II in einer Bedarfsgemeinschaft leben, werden, auch wenn sie nicht selbst erwerbsfähig<br />
sind, in das ALG II einbezogen <strong>und</strong> erhalten dieses bei fehlender Erwerbsfähigkeit allerdings dann nur in Höhe der Sozialhilfe.<br />
Das angeblich so klare formale Kriterium der Erwerbsfähigkeit, um zwischen ALG II <strong>und</strong> HLU zu unterscheiden, wird von den<br />
Protagonisten dieser Auffassung aber in Fällen, in den unzweifelhaft keine Erwerbsfähigkeit vorliegt – z.B. bei Kindern, Zeitrentnern –<br />
aufgegeben; an die Stelle der HLU soll dann eine ausgeweitete, erheblich veränderte Gr<strong>und</strong>sicherung treten.<br />
Daraus ergaben sich in der Arbeitsgruppe zwei unterschiedliche Schlussfolgerungen:<br />
• Auf die Leistungen der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG wird – so eine Gruppe – künftig verzichtet, woraus sich<br />
ein dreigliedriges System aus ALG I, ALG II <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sicherung ergibt; letztere müsste aber in ihrer Funktion deutlich erweitert <strong>und</strong><br />
gr<strong>und</strong>legend verändert werden <strong>und</strong> sollte – so ist diese Position zu verstehen – auch die Aufgabe des untersten Netzes übernehmen.<br />
Ob diese neue Gr<strong>und</strong>sicherung dann noch zur Bekämpfung der verschämten Altersarmut taugt, erscheint fraglich.<br />
• Von der B<strong>und</strong>esregierung wird die Position eines dreigliedrigen Systems nicht geteilt, sondern an einer pragmatischen Linie festgehalten.<br />
Auch nach der Zusammenführung soll es gr<strong>und</strong>sätzlich bei einem viergliedrigen System bleiben, also bestehend aus<br />
ALG I, ALG II, Sozialhilfe <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sicherung. Demnach wird es auch weiterhin eine HLU geben, die auch künftig die zentrale<br />
Referenzgröße <strong>für</strong> die Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums bilden soll, ganz gleich, ob es sich um ALG II oder um<br />
die Gr<strong>und</strong>sicherung handelt.<br />
5. Auswirkungen der Zusammenführung<br />
Für die <strong>private</strong>n Haushalte führt die Zusammenführung je nach Modell zu Einkommensverlusten von 0,5–3,5 Mrd. Euro, wobei<br />
besonders Arbeitslosenhilfeempfänger betroffen <strong>und</strong> die Sozialhilfeempfänger in bestimmten Konstellationen die Gewinner sind.<br />
Derzeit werden <strong>für</strong> den gesamten Personenkreis etwa 28,9 Mrd. Euro ausgegeben. Je nach Modell liegen die Ausgaben zwischen<br />
2,7 Mrd. Euro niedriger oder bis zu 1,8 Mrd. Euro höher. Unter Berücksichtigung von Effizienzgewinnen sollen Einsparungen zwischen<br />
1,5 bis max. 5,7 Mrd. Euro erzielt werden.<br />
6. Zuständigkeiten <strong>und</strong> Trägerschaft<br />
Hinsichtlich der neuen Leistung bestand in der Arbeitsgruppe Übereinstimmung, dass es nur einen einheitlichen Träger geben sollte.<br />
Uneinigkeit bestand aber darüber, ob die neue Leistung:<br />
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