Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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<strong>Workshop</strong> 1.8<br />
Sozialpolitische Konzepte der USA<br />
<strong>und</strong> Deutschlands – Ausgangssituation<br />
<strong>und</strong> Entwicklungen<br />
Donnerstag, 8. Mai 2003<br />
10:00 Uhr–12:30 Uhr<br />
Vorträge:<br />
• Sozial- <strong>und</strong> armutspolitische Programme<br />
in den USA – <strong>und</strong> deutsche Bezugnahmen<br />
Holger Backhaus-Maul<br />
Sozial- <strong>und</strong> armutspolitische Programme in den USA –<br />
<strong>und</strong> deutsche Bezugnahmen<br />
Holger Backhaus-Maul<br />
1. Residualer Sozialstaat <strong>und</strong> bürgergesellschaftlicher Kapitalismus<br />
Die USA sind ihrem Selbstverständnis zufolge eine liberale Gesellschaft, die<br />
den Wert der individuellen Freiheit von Wirtschaftsakteuren höher als den der<br />
gesellschaftlichen Solidarität zwischen Bürgern einstuft. Konsequenterweise<br />
wird der individuellen Verantwortung der Vorzug gegenüber der kollektiven<br />
Daseinsvorsorge gegeben; gleichzeitig erzeugt die liberale Risikogesellschaft<br />
aber in Kenntnis dessen, dass soziale Risiken jeden treffen können, auch<br />
Mitgefühl <strong>und</strong> Hilfsbereitschaft.<br />
Liberale Gesellschaften wie die der USA haben somit auch kein ausdifferenziertes<br />
System der sozialen Sicherung: So werden Sozialhilfeleistungen nur <strong>für</strong><br />
ausgewählte Gruppen der Armutsbevölkerung gewährt – insbesondere <strong>für</strong> arme<br />
Frauen mit kleinen Kindern, <strong>und</strong> Sozialversicherungsleistungen, d.h. die<br />
<strong>öffentliche</strong> Renten- <strong>und</strong> die <strong>öffentliche</strong> Krankenversicherung, stehen in der<br />
Regel nur <strong>für</strong> alte <strong>und</strong> behinderte Menschen bereit. Weiterreichende sozialpolitische<br />
Reformversuche, die darauf abzielten, die bestehenden Sozialprogramme<br />
zu einem System der sozialen Sicherung auszubauen, sind mit der Ablehnung<br />
der Ges<strong>und</strong>heitsreform im Jahre 1993 gescheitert <strong>und</strong> dürften mittelfristig<br />
erfolglos bleiben (vgl. Skocpol 1996).<br />
Für die Einkommenssicherung spielen Transfereinkommen aus <strong>öffentliche</strong>n<br />
Sozialversicherungen somit eine marginale Rolle, während Erwerbseinkommen<br />
sowie Kapital- <strong>und</strong> Vermögenserträge von wachsender Bedeutung sind. Für die<br />
Unter- <strong>und</strong> <strong>für</strong> große Teile der Mittelschicht hat dieses Gesellschaftsmodell insbesondere<br />
in den „teuren“ Städten zur Folge, dass alle Familienmitglieder im<br />
erwerbsfähigen Alter extensiv arbeiten, um entweder – wie im Falle der Mittelschichten<br />
– einen standesgemäßen Lebensunterhalt zu gewährleisten oder die<br />
Existenz unterer Einkommensgruppen bzw. der Working Poor zu sichern. Aus<br />
einer wohlfahrtspolitischen – westeuropäischen – Perspektive gelten die USA<br />
somit in der Regel als ein „negatives“ Gegenmodell zur sozialen Marktwirtschaft,<br />
die eine Vielzahl von gesellschaftspolitisch begründeten <strong>und</strong> sozialrechtlich<br />
regulierten Ausnahmen von der Notwendigkeit zur Erwerbsarbeit<br />
geschaffen hat (Esping-Andersen 1990). Diese Negativbewertung des residualen<br />
US-amerikanischen Sozialstaats aus „alteuropäischer“ Perspektive wurde nicht<br />
zuletzt durch die 1996 in den USA beschlossene reguläre Befristung von Sozialhilfeleistungen<br />
auf fünf Jahre nochmals verstärkt.<br />
Bürgergesellschaftlicher Kapitalismus?<br />
Gleichwohl geht von den USA eine bemerkenswerte Faszination aus, wenn über<br />
Gesellschaft, Lebensformen <strong>und</strong> Alltagskultur diskutiert wird. Die US-amerikanische<br />
Gesellschaft gründet in einem moralischen Individualismus, dessen ideologische<br />
Gr<strong>und</strong>pfeiler Eigenverantwortung <strong>und</strong> Eigenvorsorge in der Erwerbsgesellschaft<br />
heißen. Ein latentes Erfolgs- <strong>und</strong> Glücksversprechen in Kenntnis<br />
individueller <strong>und</strong> sozialer Risiken <strong>und</strong> ohne staatliche Garantien sind die Folge. Die<br />
weit verbreitete <strong>und</strong> erfahrungsgesättigte Vorstellung, in einer Risikogesellschaft<br />
zu leben, in der Erfolg <strong>und</strong> Misserfolg bisweilen eng beieinander liegen, schafft<br />
zugleich die sozialmoralische Basis <strong>für</strong> bürgerschaftliches Verständnis <strong>und</strong><br />
Engagement. So sind die USAeinerseits eine kapitalistische Gesellschaft ohne umfassendes<br />
soziales Sicherungssystem <strong>und</strong> andererseits eine Gesellschaft mit einem<br />
– im internationalen Vergleich betrachtet – überdurchschnittlichen Potenzial<br />
bürgerschaftlichen Engagements (vgl. Putnam 2001 <strong>und</strong> bezogen auf Unternehmen<br />
Backhaus-Maul 2003).<br />
2. Sozialstaatliche Sicherung <strong>und</strong> Hilfen<br />
In den USA gibt es kein umfassendes <strong>und</strong> existenzsicherndes soziales Sicherungssystem.<br />
Ein nennenswerter Bevölkerungsteil ist nicht in das staatliche<br />
Sicherungssystem integriert <strong>und</strong> selbst <strong>für</strong> diejenigen Bevölkerungsgruppen,<br />
die <strong>öffentliche</strong> Sozialleistungen erhalten, sind diese Leistungen allein weder<br />
bedarfsdeckend noch existenzsichernd (vgl. Murswieck 1998). Private Vorsorge<br />
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