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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Integration <strong>und</strong> Wandel der Hilfen zur Erziehung – der INTEGRA-Verb<strong>und</strong><br />

Josef Koch, Internationale Gesellschaft <strong>für</strong> erzieherische Hilfen, Schaumainkai 101–103, 60596 Frankfurt (Main),<br />

www.igfh.de www.igfh-integra.de; E-Mail: josef.koch@igfh.de<br />

In den folgenden Ausführungen wird die Arbeit des INTEGRA-Modellverb<strong>und</strong>s zur Entwicklung von integrierten <strong>und</strong> sozialräumlich<br />

angelegten Erziehungshilfen bilanziert. Ein Fachverband (IGfH e.V.), vier Kommunen <strong>und</strong> ein Landkreis haben sich in diesem Verb<strong>und</strong><br />

mit finanzieller Unterstützung des B<strong>und</strong>esjugendministeriums, der Länder <strong>und</strong> Regionen vorgenommen, eine qualitative <strong>und</strong> flächendeckende<br />

Umgestaltung der Erziehungshilfe zu erproben. Das INTEGRA-Modellprojekt hat eine Laufzeit von fünf Jahren (1.10.1998<br />

bis 30.09.2003), wobei in den Jahren 2002 <strong>und</strong> 2003 die Begleitforschung verstärkt wurde1 . Aus dem Projekt liegen umfangreiche<br />

Dokumentationen <strong>und</strong> Zwischenberichte vor (Koch/Lenz 1999 a, Koch/Lenz 2000, Koch u.a. 2002, Leitner/Richter 2002; vgl. ausführlicher<br />

zum Vergleich der unterschiedlichen Reformkulturen unter Rückgriff auf Experteninterviews Peters 2003).<br />

Bevor von den Arbeitsfeldern, Erfahrungen <strong>und</strong> Zwischenergebnissen etwas genauer berichtet werden soll (vgl. ausführlich den<br />

Zwischenbericht von Koch u.a. 2002), erscheint es zum Verständnis wichtig, an einige theoretisch-konzeptionelle Wurzeln der<br />

integrierten Hilfen zu erinnern. Dies ist umso notwendiger, da einerseits zunehmend unter dem Label der Integration <strong>und</strong> der<br />

Flexibilisierung ein Etikettenschwindel betrieben wird, der manchmal nur die „Aufblähung“ von Großeinrichtungen meint, die additiv<br />

nun alles vorhalten (flexible Hilfen als Zusatzangebot neben den Angeboten, die der KJHG-Aufzählung entsprechen), aber keineswegs<br />

Übergänge zwischen Hilfeformen <strong>und</strong> Hilfeintensitäten erleichtern. Andererseits kann man manchmal den Eindruck gewinnen, dass<br />

aktuell unter dem Diktum der Regionalisierung von erzieherischen Hilfen <strong>und</strong> unter den Vorzeichen einer verkürzten Rezeption von<br />

sozialräumlichen Modellen lediglich ein fiskalisch gesteuerter Budgetdiskurs von Seiten der <strong>öffentliche</strong>n Verwaltung verstanden wird.<br />

Diese Entwicklung ist nicht völlig verw<strong>und</strong>erlich, zeigt doch die Verwendungsforschung (Beck/Bonß 1989), dass aus Konzepten, Programmen,<br />

Diskursen immer wieder Gruppen unter unterschiedlichen Kontexten nur Bausteine herausbrechen, diese anders rahmen <strong>und</strong><br />

sich so Handlungskonzepte verändern, aufladen, manchmal Sinn entleeren. Genauso verhält es sich mit der Rezeption der<br />

„Sozialraumorientierung“ <strong>und</strong> der Integrationskonzepte im Kontext der Jugendhilfe. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e sei an dieser Stelle eine kurze<br />

Anmerkung zu einigen, längst nicht allen, konzeptionellen Hintergründen gestattet, die zur Gründung des INTEGRA-Verb<strong>und</strong>s <strong>und</strong> zur<br />

Idee integrierter Erziehungshilfen führten.<br />

Konzeptionelle Erinnerungen 2<br />

I.<br />

Zunächst einmal muss daran erinnert werden, dass INTEGRA <strong>und</strong> der Gedanke der integrierten Erziehungshilfen eine praktische<br />

Fortsetzung der Heimreform der 80er-Jahre <strong>und</strong> der Kritik an den Institutionen darstellt, die durch ihre eigene Verfasstheit zu<br />

einer Spirale der Ausgrenzung, des „Verlegens <strong>und</strong> Abschiebens“ (Freigang 1986) führten. Damit stellen die Ansätze der integrierten<br />

Erziehungshilfen in Form von Jugendhilfestationen im Stadtteil <strong>und</strong> in der Gemeinde eine Antwort auf die immer spezialisiertere <strong>und</strong><br />

damit aber zugleich auch immer selektivere Jugendhilfepraxis dar. Diese Jugendhilfepraxis hatte <strong>und</strong> hat zur Folge, dass einerseits<br />

erhebliche Zugewinne im Leistungsspektrum <strong>und</strong> im Umfang erzieherischer Hilfen qua Differenzierung (das Erfolgsmodell moderner<br />

Gesellschaften schlechthin) erreicht werden, andererseits aber immer mehr Kinder/Jugendliche durch die „Maschen“ der spezialisierten<br />

Dienste fallen bzw. eine Kultur der Trennungen <strong>und</strong> Unzuständigkeiten entstehen kann. Demgegenüber entwickelt die INTEGRA-Idee<br />

die Vorstellung einer regionalisierten, aushaltenden <strong>und</strong> sich als zuständig verstehenden, flexiblen Erziehungshilfe, die zudem die<br />

individuellen Biografien <strong>und</strong> Bedürfnisse im Einzelfall berücksichtigen soll. Und zwar jenseits der vorherrschenden Institutionen- oder<br />

Paragrafenlogik des deutschen Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetzes, die oftmals dahingehend missverstanden worden war, dass den<br />

beispielhaft im KJGH aufgeführten Hilfeformen institutionelle Arrangements nachgebildet wurden. Es geht also um eine veränderte<br />

Organisationsform, eine veränderte <strong>und</strong> erhöhte Reflexivität der Professionellen <strong>und</strong> erweiterte Beteiligungsmöglichkeiten <strong>für</strong> Hilfe-<br />

AdressatInnen, die es erlauben, nicht von den vorhandenen Hilfsangeboten her den Fall zu verstehen. Vielmehr sollen die Organisationen<br />

<strong>und</strong> ihre MitarbeiterInnen so lern- <strong>und</strong> wandlungsfähig sein, dass sie – zumindest theoretisch – die <strong>für</strong> den Bedarf im Einzelfall<br />

geeignete <strong>und</strong> notwendige Hilfe jeweils „neu erfinden“ können (Klatetzki 1995). Dazu gehört auch der Erwerb einer K<strong>und</strong>igkeit im Lebensfeld<br />

unterschiedlicher AdressatInnengruppen, die Freilegung vielleicht verschütteter Kompetenzen <strong>und</strong> Sichtweisen der<br />

AkteurInnen in ihren sozialräumlichen Kontexten, auch Nahräumen. Und dazu gehört weiterhin (sozusagen umsetzungsstrategisch) die<br />

Absicherung <strong>und</strong> strategische Unterstützung solcher Arbeitsweisen <strong>und</strong> Organisationsformen durch Gremien, Verfahren, flexibel<br />

einsetzbare Finanzierungsinstrumente, Qualifizierungen <strong>und</strong> Personalentwicklung.<br />

1) Zurzeit läuft eine zweite Phase des Projektes (Laufzeit 1.10.2001 – 30.9.2003), in der es neben der weiteren Praxisentwicklung stärker als in der ersten Phase um eine Erforschung<br />

der eingetretenen Veränderungen geht (vgl. zur Konzeption der zweiten Phase den R<strong>und</strong>brief INTEGRA Nr. 4 der BUNDESSTELLE INTEGRA 2002). Im Rahmen<br />

der Begleitforschung durch die drei externen universitären Einrichtungen (Universität Dresden, Fachhochschule Erfurt, Universität Tübingen) sollen übertragbare Erkenntnisse<br />

auf der mikrosoziologischen Ebene alltäglicher sozialpädagogischer Interventionen <strong>und</strong> auf der makrosoziologischen Ebene des Ablaufs von komplexen<br />

Reformprozessen gewonnen werden. In der Begleitforschung der zweiten INTEGRA-Phase wird versucht systematisch nachzuvollziehen, auf welche spezifische Weise<br />

der INTEGRA-Reformprozess in den verschiedenen Kommunen <strong>und</strong> bei den beteiligten Trägern abläuft <strong>und</strong> welche Veränderungen auf der strukturellen Ebene wahrgenommen<br />

werden. Dieses Forschungsmodul beinhaltet deshalb Dokumentenanalysen <strong>und</strong> ExpertInnenbefragungen zur Rekonstruktion des INTEGRA-Reformmanagements<br />

sowie die Beobachtung jugendhilfestatistischer Daten. Im zweiten Forschungsmodul wird erforscht, ob <strong>und</strong> wenn ja, welche Folgen der INTEGRA-Umsteuerungsprozess<br />

auf der konkreten pädagogischen Praxisebene <strong>und</strong> im Erleben von Hilfe-AdressatInnen zeitigt (Forschungsmodul II beinhaltet Fallanalysen zur Rekonstruktion<br />

der Sichtweisen von AdressatInnen <strong>und</strong> schriftliche AdressatInnenbefragung bei beendeten Hilfen). Zu den Zwischenergebnissen vergleiche die Internet-Seite der<br />

IGFH <strong>und</strong> des INTEGRA-Projekts: http://www.igfh.de <strong>und</strong> http://www.integra-igfh.de.<br />

2) Die unter diesem Kapitel entfalteten Ausführungen gehen auf gemeinsame Überlegungen von Friedhelm Peters <strong>und</strong> Josef Koch zurück.<br />

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