Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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Nach dem KJHG umfasst die Aufgabe die Betreuung, Bildung <strong>und</strong> Erziehung des Kindes. Während sich in der Qualitätsdebatte<br />
hinsichtlich der Betreuung <strong>und</strong> Erziehung von Kindern in Bezug auf Struktur, Prozess <strong>und</strong> Ergebnis, bei aller Divergenz, weitgehend<br />
konsistente Ziele beschreiben lassen, bewegen wir uns beim Thema Bildung inhaltlich <strong>und</strong> methodisch mehr oder weniger auf<br />
wackeligem Terrain.<br />
Dies hat seine Ursache in den spezifischen Jugendhilfestrukturen, die durch kommunale Selbstverwaltung <strong>und</strong> Trägern unterschiedlicher<br />
Werthaltungen geprägt werden.<br />
Mit welchen Elementen, mit welchen Zielen <strong>und</strong> mit welchen Anteilen <strong>für</strong> Kinder unterschiedlicher Altersgruppen welche Bildungsangebote<br />
gemacht werden, bleibt von vorbildlichen Ausnahmen abgesehen, unklar. Um nicht missverstanden zu werden: Eine Reihe<br />
von Trägern bemüht sich intensiv, zum Teil eingeb<strong>und</strong>en in Zertifizierungsprozesse, genau dies zu klären. In Bielefeld haben wir <strong>für</strong><br />
die kommunalen Kindertageseinrichtungen 13 sog. Bildungsbausteine entwickelt, um den Eltern zu zeigen, was sie von einer kommunalen<br />
Kita erwarten dürfen.<br />
Auf der Ebene der Länder wird über den Abschluss von sog. Bildungsvereinbarungen gesprochen <strong>und</strong> auch die Nationale Qualitätsoffensive<br />
im System der Tageseinrichtungen <strong>für</strong> Kinder beschäftigt sich umfassend mit der Thematik. Und gleichwohl bleibe ich dabei,<br />
sagen zu dürfen, dass wir mit zunehmendem Alter der Kinder <strong>und</strong> in der Breite keine oder keine einheitliche Vorstellung von dem haben,<br />
was Bildung beinhalten soll. Dabei sollte bis zum Eintritt der Schulpflicht unstrittig sein, dass wir den Bildungsauftrag nicht als<br />
abprüfbare, geschlossene <strong>und</strong> verbindliche Form der Wissensvermittlung begreifen, sondern kindliche Neugier <strong>und</strong> Interesse wecken<br />
wollen. Ich beziehe mich hier ausdrücklich auf die Leipziger Thesen zur aktuellen bildungspolitischen Debatte, die von der AGJ<br />
mitentwickelt wurden <strong>und</strong> in denen zum Ausdruck gebracht wird, dass Bildung ein umfassender Prozess <strong>und</strong> mehr als Schule ist.<br />
Neben dem inhaltlichen Manko einer einigermaßen präzisen Begriffsbestimmung des Bildungsauftrages tritt das Problem, dass die<br />
Finanzierung von Bildung nach kommunaler Auffassung nach der Kompetenzordnung des Gr<strong>und</strong>gesetzes in die originäre Verantwortung<br />
der Länder fällt.<br />
Die sog. PISA-Studie hat 15-jährige Jugendliche <strong>und</strong> die Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> Chancengerechtigkeit unterschiedlicher Schulsysteme<br />
systematisch untersucht. Als Konsequenz aus PISA soll Deutschland flächendeckend mit offenen Ganztagsschulen ausgestattet werden.<br />
Es verw<strong>und</strong>ert, erstaunt <strong>und</strong> kennzeichnet eine in Bezug auf die Studie schiefe Debattenlage, mit welcher Geschwindigkeit wir gerade<br />
dabei sind, ohne gründliche Evaluation ein zugegebenermaßen verbesserungsbedürftiges Schulsystem mit qualitativ kaum evaluierten<br />
Angeboten in den Nachmittag hinein zu verlängern <strong>und</strong> nolens volens die klassischen Jugendhilfestrukturen wie den Hort, das Schulkinderhaus<br />
oder die großen altersgemischten Gruppen leichtfertig zu zerschlagen.<br />
Auch hier zunächst zwei klarstellende Aussagen: Dass die Verlässlichkeit der Betreuung, die mit dem Rechtsanspruch auf einen<br />
Kindergartenplatz geschaffen wurde, <strong>für</strong> Kinder <strong>und</strong> Eltern nicht mit dem Eintritt in die Schule enden darf, steht <strong>für</strong> mich außer jeder<br />
ernsthaften Diskussion. Und: Auch die Jugendhilfe muss sich von der Fiktion ihrer eigenen, alleinigen <strong>und</strong> universellen Leistungsfähigkeit<br />
lösen. Sie wird im Rahmen des Ausbaus von Ganztagsbetreuungsangeboten <strong>für</strong> schulpflichtige Kinder als Partner der Schulen<br />
eine wichtige, wenn auch nach meiner Einschätzung in den westlichen Ländern nicht die Hauptrolle spielen.<br />
Zu den Lehren aus der PISA-Studie zählt die Einsicht, dass Kinder eine ihrem Alters- <strong>und</strong> Entwicklungsstand entsprechende Förderung<br />
benötigen. Insofern ist zunächst die Frage zu klären, mit welchen Strukturen <strong>und</strong> mit welchen Akteuren eine differenzierte Förderung<br />
zu leisten ist. Eine in Anführungszeichen „schlechte Schule“ in den Nachmittag hinein zu verlängern, ist keine adäquate Antwort auf<br />
PISA.<br />
Wenn man dies akzeptiert, verw<strong>und</strong>ert es, welchen geringer Stellenwert die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage, welche<br />
differenzierten Förderangebote wir brauchen, in der aktuellen Diskussion hat. Zunächst müssen die inhaltlichen Fragen, dann die<br />
notwendigen Strukturen <strong>und</strong> die Finanzierung geklärt werden, <strong>und</strong> zwar in dieser Reihenfolge.<br />
Diese Herangehensweise erfordert inhaltlich, personell <strong>und</strong> trägerspezifisch eine weitere Ausdifferenzierung der Trägerlandschaft.<br />
Dabei wird der klassische Hort insbesondere, aber nicht nur am Vormittag, kaum noch eine Rolle spielen. Der Ausbau der Angebote<br />
wird an den Schulen <strong>und</strong> unter Federführung der Schulen erfolgen – hier sollte man sich keinerlei Illusion hingeben.<br />
Ich kann mir im Moment jedenfalls nicht vorstellen, dass die Kommunen als Träger der Jugendhilfe in nennenswertem Umfang weitere<br />
Hortangebote schaffen werden, zumal die klassischen Angebote der Jugendhilfe <strong>für</strong> diesen Personenkreis angesichts der ergänzenden<br />
Angebote an Schulen schon heute eher eine untergeordnete Rolle spielen. Ich gehe fest davon aus, dass die Kommunen sich schwerpunktmäßig<br />
auf die Kinderbetreuung bis zum Eintritt der Schulpflicht konzentrieren werden.<br />
4. These: Die derzeitigen Finanzierungs- <strong>und</strong> Zuständigkeitsregelungen zwischen B<strong>und</strong>, Ländern <strong>und</strong> Gemeinden sind diffus,<br />
begünstigen Problemverschiebungen <strong>und</strong> verstärken bestehende Blockaden – zu Lasten von Kindern <strong>und</strong> Eltern. Unter<br />
Einbeziehung der Regelungen zum Familienleistungsausgleich, unter Beachtung des Konnexitätsprinzips <strong>und</strong> mit dem Ziel<br />
der Gewährleistungsverantwortung in einer Hand sollten Aufgabenträgerschaft <strong>und</strong> Finanzierungszuständigkeiten wie folgt<br />
neu geordnet werden:<br />
• Eine ausschließliche Verantwortung der Kommunen <strong>für</strong> die Betreuung, Erziehung <strong>und</strong> Bildung von Kindern bis zum Eintritt der<br />
Schulpflicht ist gr<strong>und</strong>sätzlich sinnvoll <strong>und</strong> möglich, soweit die bisherigen Landesmittel entsprechend umgeschichtet <strong>und</strong> die Kommunen<br />
von der Heranziehung zur Mitfinanzierung des staatlichen Familienleistungsausgleichs (Gemeindeanteil in 2002 rd. 5 Mrd.<br />
Euro) befreit werden. Das Geld, in kommunaler Hand, würde ausreichen, um <strong>für</strong> eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der<br />
Angebote bis zum Eintritt der Schulpflicht zu sorgen.<br />
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