Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
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Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit mit der Geburt erwerben <strong>und</strong> dann mit der Vollendung des 18. Lebensjahres zwischen der<br />
deutschen <strong>und</strong> der ausländischen Staatsangehörigkeit wählen müssen. Die europäische Binnenwanderung aufgr<strong>und</strong> der europäischen<br />
Freizügigkeit wird die Bedeutung der Staatsangehörigkeit zugunsten der Unionsangehörigkeit zurückdrängen. Angesichts der<br />
Entwicklung der Wanderungsbewegungen <strong>und</strong> angesichts der Veränderungen im Staatsangehörigkeitsrecht macht es in Zukunft keinen<br />
Sinn mehr, zwischen Deutschen <strong>und</strong> Ausländern zu unterscheiden, wohl aber nach dem Migrationshintergr<strong>und</strong> zu fragen. Die nächste<br />
junge Generation wird jedenfalls kleiner <strong>und</strong> „bunter“.<br />
2. Die sozialen Lagen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen – Wohlbefinden, Versorgung <strong>und</strong> Betreuung<br />
Legt man den Ges<strong>und</strong>heitsbegriff der Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation (WHO) zugr<strong>und</strong>e, der Ges<strong>und</strong>heit als „Zustand des vollständigen<br />
körperlichen, geistigen <strong>und</strong> sozialen Wohlbefindens“ definiert, so zeigt sich, dass das Wohlbefinden von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen auch<br />
in der wohlhabenden B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland in vielerlei Beziehungen eingeschränkt ist, insbesondere durch chronische<br />
Krankheiten, Behinderung, Vernachlässigung, Misshandlung <strong>und</strong> Missbrauch, sowie durch Nikotin-, Alkohol- <strong>und</strong> Drogenkonsum.<br />
R<strong>und</strong> zehn Prozent aller Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen leiden an chronischen Krankheiten <strong>und</strong> bei zehn bis zwanzig Prozent der Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendlichen treten psychische Störungen auf. Fünf Prozent aller Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen können als behindert bezeichnet werden.<br />
Mehr als ein Drittel der Jugendlichen (12 bis 25 Jahre) bezeichnen sich als Raucher bzw. Raucherinnen, ein Drittel trinkt regelmäßig<br />
Alkohol <strong>und</strong> mehr als ein Viertel hat Drogenerfahrungen. Über die Vernachlässigung von Kindern, über Misshandlungen <strong>und</strong><br />
Missbrauch lassen sich keine verlässlichen quantitativen Angaben machen. Vernachlässigung liegt bei der Hälfte aller vorm<strong>und</strong>schaftsgerichtlichen<br />
Fälle vor. Die Hälfte bis zwei Drittel aller Eltern bestrafen ihre Kinder körperlich. Die polizeiliche Kriminalstatistik<br />
nannte <strong>für</strong> das Jahr 1999 r<strong>und</strong> 15 000 Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Die Daten geben – bei aller Begrenztheit ihrer<br />
Aussagekraft – Anlass zur Besorgnis um das körperliche, geistige <strong>und</strong> soziale Wohlbefinden von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen, insbesondere<br />
weil die Einschränkungen des Wohlbefindens weitgehend nicht auf erblichen Belastungen <strong>und</strong> auf Infektionen beruhen, sondern<br />
vielfach sozial bedingt sind <strong>und</strong> mit der sozialen Ungleichheit in der B<strong>und</strong>esrepublik in Beziehung stehen. Trotz der großen medizinischen<br />
Fortschritte bei der Bekämpfung von Krankheiten <strong>und</strong> an der Schwelle zu noch unabsehbaren gentechnologischen Eingriffen<br />
in die menschliche Reproduktion zeigt sich, dass das körperliche, geistige <strong>und</strong> soziale Wohlbefinden von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
in erster Linie nicht vom biologisch-medizinisch-technischen Fortschritt, sondern von der sozialen Lage der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
<strong>und</strong> ihren Familien abhängt.<br />
Deutschland ist eines der reichsten Länder Europas <strong>und</strong> der Welt. Dennoch gibt es in einem erschreckenden Umfang Armut in dieser<br />
Gesellschaft. Einkommen <strong>und</strong> Vermögen sind nämlich höchst ungleich verteilt <strong>und</strong> die Ungleichverteilung hat zugenommen, wie der<br />
Armuts- <strong>und</strong> Reichtumsbericht der B<strong>und</strong>esregierung erst jüngst wieder dargelegt hat. Von Armut besonders betroffen sind Familien mit<br />
Kindern, denn mit steigender Kinderzahl nehmen die Armutsquoten der Familien zu.<br />
Betroffenheit von Armut in Deutschland 1997 im Haushaltskontext<br />
Bevölkerung mit Niedrigeinkommen<br />
(50 %-Schwelle)<br />
in %<br />
_____________________________________________________________<br />
Haushalts- <strong>und</strong> Lebenszyklus<br />
Familienhaushalt<br />
mit einem Kind 7,2<br />
mit zwei Kindern 10.2<br />
mit drei <strong>und</strong> mehr Kindern 21,5<br />
Einelternhaushalt 29,8<br />
Quelle: Krause/Habich 2000<br />
Dies gilt nicht nur <strong>für</strong> die Einkommensarmut, sondern auch <strong>für</strong> die Versorgung mit Wohnraum, <strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong> Ausbildung, <strong>für</strong> die<br />
Ges<strong>und</strong>heit, <strong>für</strong> die sozialen Beziehungen <strong>und</strong> <strong>für</strong> die kulturellen Angebote. Familien mit Kindern sind deshalb eher von sozialer<br />
Ausgrenzung bedroht. Die sozioökonomischen Verhältnisse erweisen sich <strong>für</strong> die Familien dabei als instabil <strong>und</strong> durchaus dynamisch,<br />
<strong>und</strong> sie können deshalb <strong>für</strong> mehr Menschen als früher zumindest zum vorübergehenden Problem werden. Die Bedrohung mit Armut<br />
reicht zeitweise bis in die Mittelschichten hinein, während es andererseits Familien in dauerhafter Armut gibt.<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche können aber andererseits heute so viel eigenes Geld ausgeben, wie keine Generation vor ihnen, <strong>und</strong> sie sind<br />
eine umworbene Konsumentengruppe, deren Kaufkraft im Jahr 1999 auf fast 18 Milliarden DM geschätzt wurde. Ein großer Teil dieser<br />
Gelder stammt allerdings aus eigener Erwerbsarbeit, denn man kann davon ausgehen, dass r<strong>und</strong> die Hälfte aller Schülerinnen <strong>und</strong><br />
Schüler ab 14 Jahre zumindestens sporadisch einer Erwerbstätigkeit neben der Schule nachgeht. Die Kehrseite der vielfältigen<br />
Konsummöglichkeiten ist freilich eine spürbar zunehmende Verschuldung junger Menschen, die 1996 bei 17 Prozent <strong>und</strong> einer<br />
jeweiligen Höhe von 540 bis 580 DM lag. Die sozioökonomisch bedingten Lebenslagen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen sind deshalb<br />
insgesamt von Ungleichheit, von Widersprüchlichkeit <strong>und</strong> von großen Spannungen gekennzeichnet, in denen sie heute aufwachsen <strong>und</strong><br />
mit denen sie zurechtkommen müssen.<br />
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