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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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In der Gerontologie ist die Bewertung nachweisbar abnehmender außenorientierter Aktivität Älterer als soziales Risiko, der man<br />

sozialpolitisch durch Konzepte der Aktivitätsförderung begegnen müsse, umstritten. Dies dokumentiert sich z.B. im Zwischenbericht<br />

der B<strong>und</strong>estags-Enquete-Kommission Demographischer Wandel von 1994. Insbesonder Vertreter der psychologischen Gerontologie<br />

plädieren darin <strong>für</strong> „aktives Altern“ als ein gesellschaftspolitisch wünschenswertes <strong>und</strong> anzustrebendes Ziel. Aktivität gilt ihnen als eine<br />

der zentralen Voraussetzungen <strong>für</strong> „erfolgreiches“, „gelungenes“, „gutes“ oder „normales“ Altern. Gegen diese normative Aktivitätsorientierung<br />

wenden sich Vertreter der Sozialpolitikwissenschaften mit Verweis auf Ergebnisse empirischer Lebenslageanalysen.<br />

Demnach sei „aktives Älterwerden ... kein empfohlener, guter oder normaler Lebensstil, sondern eine Lebensäußerung, die angesichts<br />

der Differenziertheit von Lebenssituationen im Alter lediglich einen wesentlichen Teilbereich der Bedürfnisse <strong>und</strong> Wünsche abdeckt<br />

<strong>und</strong> die – sehr gr<strong>und</strong>legend – an Voraussetzungen geb<strong>und</strong>en ist, die durch Gesellschafts- <strong>und</strong> Wirtschaftsstrukturen bestimmt sind“<br />

(<strong>Deutscher</strong> B<strong>und</strong>estag, 1994, S. 383 f.). Aus empirischen Studien ist zudem bekannt, dass ein „aktives Älterwerden“ an günstige<br />

ges<strong>und</strong>heitliche Voraussetzungen, an jüngeres Alter, an männliche Geschlechtszugehörigkeit sowie nicht zuletzt an einen höheren sozioökonomischen<br />

Status geb<strong>und</strong>en ist. Untersuchungen über Lebensstile älterer Menschen zeigen darüber hinaus, dass nur ein Viertel der<br />

Menschen im Alter zwischen 55 <strong>und</strong> 70 als „aktive neue Alte“ bezeichnet werden können, die zudem noch überwiegend aus „gehobenen<br />

sozialen Milieus“ bzw. aus „gut situierten Verhältnissen“ stammen.<br />

Insgesamt zeigen diese Bef<strong>und</strong>e die Grenzen einer lediglich an „richtigen“ Konzepten wie Aktivitätsförderung, Selbstorganisation,<br />

„produktives“ Älterwerden etc. ausgerichteten Altenarbeit, so wichtig sie <strong>für</strong> die Einzelnen auch sein mögen, die gern „aktiver“ sein<br />

möchten <strong>und</strong> da<strong>für</strong> keine entsprechenden Angebote finden. Dies liegt an den erheblichen Defiziten <strong>und</strong> Lücken in diesem Arbeitsfeld,<br />

die sich häufig immer noch in primär betreuenden <strong>und</strong> unterhaltenden Angeboten, Tendenzen zur subkulturellen Abschottung <strong>und</strong><br />

unzureichenden Bemühungen um intergenerationelle Arbeitsansätze zeigen. Eine angemessene Aktivitätsförderung hat sich – neben<br />

ethnischen <strong>und</strong> kulturellen Besonderheiten – an den durch gesellschaftliche wie ökonomische Strukturen, Lebensstilausprägungen,<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand, sehr hohes Alter oder gewolltes Disengagement gegebenen Schranken zu orientieren.<br />

6. Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> Lebenslage im Alter<br />

6.1 Projektionen zum künftigen Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> zum Pflegebedarf im Alter<br />

Ges<strong>und</strong>heitliche Beeinträchtigungen <strong>und</strong> Krankheiten gehören – neben den ökonomischen – zu den bedeutsamsten Risiken der<br />

Lebenslage älterer Menschen, wenngleich Alter nicht umstandslos mit Krankheit, Hilfe- <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeit gleich gesetzt werden<br />

kann. Das Risikopotenzial unter den über 65-Jährigen wird auf maximal 30 % geschätzt, jenseits des 80. Lebensjahres nehmen allerdings<br />

ges<strong>und</strong>heitliche Risiken aufgr<strong>und</strong> nachlassender physio-psychischer Konstitution deutlich zu. Nach neueren Prognosen wird zukünftig<br />

jeder zweite Hochaltrige (80 Jahre <strong>und</strong> älter) auf pflegerische <strong>und</strong> hauswirtschaftliche Hilfen durch Dritte angewiesen sein. Angesichts<br />

der prognostizierten starken Zunahme von Hochaltrigkeit ist deshalb von ganz beachtlichem Problemzuwachs <strong>und</strong> darauf bezogenem<br />

Handlungsbedarf auszugehen.<br />

Mit Blick auf den Ges<strong>und</strong>heitszustand künftiger Kohorten älterer Menschen ist häufiger die Be<strong>für</strong>chtung verknüpft, dass die – gegenüber<br />

früher – zusätzlich gewonnenen Jahre zu einem erheblichen Teil in Krankheit <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeit verbracht werden müssen.<br />

Wenn es inzwischen auch <strong>für</strong> Deutschland erste empirische Hinweise darauf gibt, dass von einer sog. „Kompression der Morbidität“<br />

(Fries) ausgegangen werden kann, d.h., dass die Lebenserwartung in Ges<strong>und</strong>heit schneller ansteigt als die Gesamtlebenserwartung, so<br />

vermutet allerdings die Enquete-Kommission Demographsicher Wandel aufgr<strong>und</strong> internationaler Studien, dass die Kompressionsthese<br />

eher <strong>für</strong> Oberschichten zutrifft, während <strong>für</strong> Unterschichtsangehörige eher die sog. Medikalisierungsthese gilt, nach der die letzten<br />

Lebensjahre vermehrt von Multimorbidität, funktionalen Einschränkungen sowie einer erhöhten <strong>und</strong> verlängerten Pflegebedürftigkeit<br />

gekennzeichnet sei. Insgesamt fehlt es aber <strong>für</strong> Deutschland an gesicherten empirischen Daten.<br />

Allerdings ist bei einer deutlichen Zunahme Hochbetagter auch das Anwachsen hirnfunktionaler Störungen <strong>und</strong> demenzieller<br />

Erkrankungen zu erwarten, am häufigsten primäre Demenzen vom Alzheimer-Typ <strong>und</strong> vaskuläre, auf Erkrankungen der Hirngefäße<br />

basierende Demenzen. Neuere Schätzungen gehen von einer durchschnittlichen Prävalenzrate mittelschwerer <strong>und</strong> schwerer Demenzen<br />

der 65-Jährigen <strong>und</strong> Älteren von 7,2 % aus, allerdings mit deutlichen Steigerungsraten <strong>für</strong> die oberen <strong>und</strong> obersten Altersgruppen, so<br />

z.B. auf bis etwa 35 % bei den 90-Jährigen <strong>und</strong> Älteren. Ebenfalls mit steigendem Alter verstärkt sich Multimorbidität, d.h. das gleichzeitige<br />

Auftreten verschiedener Krankheiten.<br />

Pflegebedürftigkeit gilt heute ganz generell als das bedeutsamste Altersrisiko, dies gilt insbesondere <strong>für</strong> das vierte Lebensalter. Nach<br />

Maßstäben des Pflegeversicherungsgesetzes sind derzeit knapp 3 % der 65- bis 70-Jährigen, aber etwa 55 % bei den 90-Jährigen <strong>und</strong><br />

Älteren pflegebedürftig. Mit dem prognostizierten weiter steigenden Anteil älterer <strong>und</strong> vor allem sehr alter Menschen dürften<br />

Prävalenzraten <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeitsschweregrade in Zukunft weiter steigen. In ihren eigenen Prognosen rechnet z.B. die B<strong>und</strong>estags-Enquete-Kommission<br />

Demographischer Wandel unter Status quo-Bedingungen <strong>und</strong> bei unveränderter Pflege- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspolitik<br />

bis zum Jahr 2040 mit einer Zunahme der Pflegebedürftigen gemäß SGB XI um ca. 60 %, mit noch überdurchschnittlich starken<br />

Zunahmen der in den Heimen lebenden Pflegebedürftigen. Allerdings zeigen sich innerhalb der Altersbevölkerung sehr<br />

unterschiedliche Ausprägungen von Krankheit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit. Vorliegende sozialepidemiologische Bef<strong>und</strong>e zeigen z.B. eine enge<br />

Verknüpfung von Krankheitsrisiken Älterer mit (früheren) Arbeitsbedingungen <strong>und</strong> -belastungen sowie mit dem sozioökonomischen<br />

Status. Dies gilt auch <strong>für</strong> Pflegebedürftigkeit <strong>und</strong> gerontopsychiatrische Erkrankungen.<br />

6.2 Medizinisch-geriatrische <strong>und</strong> pflegerische Versorgung<br />

Die materielle Lebenslage Älterer wird ganz zentral von der medizinisch-geriatrischen <strong>und</strong> pflegerischen Versorgung bestimmt.<br />

Wurden 1995 bei den ambulanten <strong>und</strong> teilstationären Pflegediensten noch z.T. erhebliche Lücken konstatiert, so hat sich dahingehend<br />

die Versorgungssituation seit Einführung der Pflegeversicherung deutlich verbessert. Das Netz an ambulanten Versorgungsinstanzen im<br />

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