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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Möglichkeiten zur Beteiligung an altersrelevanter lokaler Politik, Mitwirkung in Selbstverwaltungsgremien der Sozialversicherungsträger,<br />

Eigenvertretung ihrer Interessen als Nutzer („K<strong>und</strong>en“) von Diensten <strong>und</strong> Einrichtungen, in Heimbeiräten u.a.m. fehlen<br />

weitgehend bzw. befinden sich – im Vergleich mit dem Ausland – hierzulande noch in Anfängen.<br />

Allerdings sollte sich die viel behauptete These, die Vertretung der Interessen Älterer im politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Raum sei<br />

am besten durch die Älteren selbst zu erreichen, erst einmal dem Nachweis der empirischen Überprüfung stellen. Die Annahme von einer<br />

generell besseren politischen Durchsetzungskraft Älterer hinsichtlich ihrer eigenen Belange aufgr<strong>und</strong> ihrer Zugehörigkeit zu dieser<br />

Altersgruppe ist – zumindest <strong>für</strong> Deutschland – bisher nicht durch empirische Daten erhärtet. Z.B. könnte man sich speziell mit Blick<br />

auf die Pflegeversicherung einen sehr viel stärkeren Druck <strong>für</strong> ihren Beibehalt seitens der organisierten Altenbewegung hierzulande<br />

gerade jetzt wünschen, wo es in der Rürup-Kommission um ihre faktische Abschaffung <strong>und</strong> um Rückführung der Anliegen Pflegebedürftiger<br />

<strong>und</strong> ihrer Angehöriger in eine eigentlich als längst überw<strong>und</strong>en geglaubte Sozialhilfetradition geht.<br />

Die Erweiterung des politischen Partizipationsspielraums <strong>für</strong> ältere Menschen stellt zweifellos eine wichtige Zukunftsaufgabe dar. Das<br />

entscheidende Prüfkriterien <strong>für</strong> die Ernsthaftigkeit einer Realisierung entsprechender Forderungen wird der Grad der eingeräumten<br />

Rechte sein. „Spielwiesen“ nach dem Muster einflussloser kommunaler Seniorenbeiräte erweitern Dispositions- <strong>und</strong> Partizipationsmöglichkeiten<br />

kaum. Und wenn man sie dann schon einrichtet, dann bedürfen sie der finanziellen, materiellen <strong>und</strong> fachlichen<br />

Unterstützung. Allerdings muss auch die Bereitschaft <strong>und</strong> das Engagement der Betroffenen selbst vorhanden sein, in entscheidungsbefugten<br />

Gremien <strong>und</strong> Institutionen mitzuwirken <strong>und</strong> aktiv mitzuarbeiten (z.B. in Parlamenten <strong>und</strong> Ausschüssen als „normale“ <strong>und</strong> nicht<br />

wegen ihres „besonderen“ Status delegierte Vertreter). Wichtige, noch viel zu wenig genutzte Aufgabenfelder <strong>für</strong> lokale Seniorenbeiräte<br />

bestehen insbesondere im Bereich der Qualitätssicherung <strong>und</strong> des Verbraucherschutzes bei sozialen Diensten.<br />

5.3 Kontakt-, Kooperations- <strong>und</strong> Aktivitätsspielraum<br />

Mit dem Kontakt-, Kooperations- <strong>und</strong> Aktivitätsspielraum sind insbesondere Möglichkeiten zur Pflege sozialer Kontakte <strong>und</strong> des<br />

Zusammenwirkens mit anderen gemeint. Sie werden mit fortschreitendem Lebensalter nachweislich immer mehr eingeschränkt <strong>und</strong><br />

führen insbesondere im sehr hohen Alter nicht selten zum selbst gewollten Disengagement. Maßgeblich da<strong>für</strong> sind vor allem Berufsaufgabe,<br />

Reduzierung primärer Netzwerke (z.B. durch Tod <strong>und</strong> Krankheit), Einkommenseinbußen, isolationsfördernde Wohnbedingungen<br />

(„Singularisierung“) sowie Verschlechterungen im Ges<strong>und</strong>heitszustand. Hinzu kommen ethische <strong>und</strong> kulturspezifische<br />

Besonderheiten. Insgesamt trägt auch eine berufs- <strong>und</strong> arbeitsmarktbedingte Mobilität der Kinder- <strong>und</strong> Enkelkindergeneration dazu bei<br />

– dies gilt insbesondere <strong>für</strong> die neuen B<strong>und</strong>esländer im Zuge der Transformation.<br />

Ein zunehmend verlängertes Leben führt auch zu der Erfahrung, Menschen der eigenen <strong>und</strong> nachfolgenden Generation zu überleben.<br />

Z.B. erleben fast alle alten verheirateten Frauen den Tod ihres Partners, der Verlust von Geschwistern gehört ebenfalls zur Alltagsrealität<br />

im sehr hohen Alter. Dies gilt auch <strong>für</strong> die in sehr hohem Alter häufig stattfindende Übersiedlung in ein Heim, von den über 90-Jährigen<br />

ist mehr als jeder Dritte betroffen. Alte Menschen, die im Heim leben, haben wiederum weniger Kontakte zur Außenwelt. Besonders<br />

betroffen sind Hochbetagte ohne Kinder. Insgesamt führen zwangsweise reduzierte Kontakte zu Belastungen der eigenen Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> der psychischen Verfassung: Das Selbstmordrisiko von alten verwitweten Menschen ist doppelt so hoch wie das von verheirateten.<br />

Noch immer ist die Familie ganz entscheidend <strong>für</strong> Lebenslage <strong>und</strong> Lebensqualität im Alter. Zunehmende Kinderlosigkeit auch bei<br />

älteren Menschen verweist dabei auf ein Sonderrisiko. Insgesamt ist jedoch der größte Teil älterer <strong>und</strong> alter Menschen in tragfähige<br />

familiäre Netzwerke eingeb<strong>und</strong>en, vor allem <strong>für</strong> Hochaltrige gelten freilich Einschränkungen auch ihrer familiären Kontaktmöglichkeiten.<br />

Dort, wo Kinder/Enkelkinder da sind bzw. in erreichbarer Nähe leben, existieren insgesamt intensive Austauschbeziehungen.<br />

Dies gilt <strong>für</strong> ausländische Familien noch mehr. Austauschbeziehungen bewegen sich von der jüngeren zur älteren Generation hin<br />

zumeist in Form von immateriellen Hilfe- <strong>und</strong> Unterstützungsleistungen, während sie anders herum von der älteren zur jüngeren<br />

Generation sehr häufig in Form von z.T. erstaunlich hohen regelmäßigen finanziellen Zuwendungen stattfinden. Allerdings ist derart<br />

praktizierte Familiensolidarität nicht voraussetzungs- <strong>und</strong> umstandslos zu haben. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass der große<br />

<strong>und</strong> der kleine Generationenvertrag in einem engen, unauflösbaren Zusammenhang stehen, dass sich beide sogar gegenseitig bedingen.<br />

Wer den großen Generationenvertrag durch wachsende Entsolidarisierung <strong>und</strong> Privatisierung von Risiken gefährdet, gefährdet damit<br />

indirekt auch den kleinen, alltäglich in den Familien praktizierten.<br />

Dennoch sind insbesondere auf dem Hintergr<strong>und</strong> des künftig zu erwartenden Ausmaßes an Pflegebedürftigkeit Be<strong>für</strong>chtungen einer<br />

zukünftigen Überforderung von Familien durch den demographischen Wandel keineswegs unbegründet. Mitentscheidend ist auch die<br />

Entwicklung bei der Struktur des Familienstandes künftiger Älterer. Entsprechende Prognosen zeigen dabei langfristig einen weiter wachsenden<br />

Anteil Geschiedener, Verwitweter <strong>und</strong> Unverheirateter, also alternder „Singles“, folglich eine weitere Zunahme von Älteren, die<br />

außerhalb einer eigenen Kernfamilie leben. Hinsichtlich nicht-familiärer Hilferessourcen wird künftig zunehmend auf Unterstützung durch<br />

Selbsthilfegruppen (wie z.B. Alzheimer Gesellschaften) <strong>und</strong> freiwillig Engagierte zu setzen sein, die es jedoch aufzubauen gilt. Erneut kann<br />

auf traditionelle Konzepte der Gemeinwesenarbeit verwiesen werden. Von Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Nachbarn darf in diesem Zusammenhang wohl<br />

weit weniger erwartet werden als häufig angenommen. Umso wichtiger ist es künftig, auch die Unterstützungs- <strong>und</strong> Pflegebereitschaft der<br />

Familien <strong>und</strong> der übrigen informellen Netzwerke vor allem materiell <strong>und</strong> infrastrukturell zu stärken. Dies gilt insbesondere <strong>für</strong> die<br />

Entwicklung solcher familienergänzender <strong>und</strong> -stützender sozialer Dienste, auf die ich gestern eingegangen bin, sowie in ganz besonderer<br />

Weise <strong>für</strong> alle erdenklichen Maßnahmen einer besseren <strong>Verein</strong>barkeit von Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> Pflege, wie dies auch von der Enquete-<br />

Kommission Demographischer Wandel in ihrem Abschlussbericht wiederholt eingefordert wird.<br />

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