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Workshop 1.6 - Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge

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Beteiligung <strong>und</strong> Unterstützung im Rahmen von Hilfen zur Erziehung<br />

aus Sicht der AdressatInnen<br />

Maren Zeller<br />

Das B<strong>und</strong>esmodellprojekt INTEGRA (Laufzeit 10/1998 – 9/2003) hat zum Ziel, die Reform der Erziehungshilfen in Richtung auf eine<br />

integrierte, flexible <strong>und</strong> sozialräumlich orientierte Angebotsstruktur in fünf Modellregionen zu fördern, zu qualifizieren <strong>und</strong> in Hinblick<br />

auf die Frage nach der Übertragbarkeit der „Reformideen“ auf andere Regionen zu evaluieren. Das Besondere am INTEGRA-Projekt<br />

ist, dass es nicht nur um die Förderung einzelner interessanter Reformprojekte geht, sondern dass die beteiligten Kommunen (Celle,<br />

Dresden, Erfurt, Frankfurt/Oder <strong>und</strong> der Landkreis Tübingen) sich vorgenommen haben, ihr gesamtes Erziehungshilfeangebot in der<br />

genannten Richtung umzubauen (vgl. Koch u.a. 2002, 11). Um die Bedeutung dieser Projektleitlinien <strong>für</strong> AdressatInnen von<br />

Erziehungshilfen zu erfassen <strong>und</strong> diese darüber hinaus kritisch hinterfragen zu können, wurden parallel zur Projektlaufzeit ca. 30<br />

narrative Interviews mit Jugendlichen <strong>und</strong> Eltern geführt, die Erziehungshilfen im Rahmen einer Jugendhilfestation oder einer<br />

wohnortnahen Wohngruppe erhalten oder erhalten haben.<br />

Die Beteiligung bzw. Partizipation der HilfeadressatInnen an allen Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, gilt als eine Weg weisende<br />

Neuorientierung der Jugendhilfe seit den 1990er-Jahren. Die in den Konzepten der dienstleistungsorientierten sowie lebensweltorientierten<br />

Jugendhilfe theoretisch begründete Forderung nach der Stärkung der Subjektstellung der AdressatInnen im Hilfeprozess<br />

fand mit dem In-Kraft-Treten des Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetz (KJHG) seine rechtliche Verankerung. Allerdings ist vielerorts eine<br />

deutliche Diskrepanz zwischen der sozialwissenschaftlichen Diskussion um Partizipation <strong>und</strong> der zögerlichen Konkretisierung in der<br />

Jugendhilfepraxis festzustellen (vgl. Kriener 2001). Integrierte <strong>und</strong> flexible Erziehungshilfen haben sich deshalb mithilfe einer prozessorientierten<br />

Hilfeplanung die Beteiligung der AdressatInnen an allen sie betreffenden Fragen zum Ziel gesetzt. Dazu bedarf es konkret<br />

eines professionellen Selbstverständnisses, das aus HilfeempfängerInnen Akteure ihrer eigenen Entwicklung macht: Mädchen, Jungen<br />

<strong>und</strong> Eltern sind als ExpertInnen in eigener Sache zu sehen.<br />

Im Folgenden möchte ich anhand einiger Zwischenergebnisse die Frage nach gelingender Beteiligung aus Sicht der AdressatInnen<br />

erörtern. Dazu habe ich als erstes ein Fallbeispiel aus der Praxis des Mobilen Dienstes einer regionalisierten Jugendhilfestation gewählt,<br />

in dem die befragte Mutter den bisherigen Hilfeprozess als einen aus ihrer Sicht gelingenden beschreibt. Im Anschluss an die Fallskizze<br />

möchte ich (1) aus Sicht der Eltern relevante Kriterien <strong>für</strong> eine Beteiligung bei der Hilfeentscheidung sowie der Hilfegestaltung<br />

formulieren <strong>und</strong> diese vor dem Horizont der bisher vorliegenden Auswertungsergebnisse kommentieren sowie (2) die Möglichkeiten<br />

<strong>und</strong> Grenzen von Partizipation diskutieren <strong>und</strong> (3) im Ausblick auf die zwei miteinander verknüpften Aspekte von Hilfe als<br />

Beteiligungsprozess sowie Beteiligung als Empowerment hinweisen.<br />

Fallskizze<br />

Frau Weiss lebt als allein erziehende Mutter mit ihren drei Kindern zusammen, die zwischen fünf <strong>und</strong> zehn Jahre alt sind. Von dem Vater<br />

der beiden ältesten Kinder (einem Alkoholiker) lässt sie sich nach wenigen Ehejahren scheiden. Mit ihrem zweiten Partner ist sie<br />

ebenfalls nur kurze Zeit zusammen <strong>und</strong> trennt sich sofort nach der Geburt des dritten Kindes, da er „immer versucht hat, [sie] ziemlich<br />

runterzudrücken <strong>und</strong> seelisch kaputtzumachen“. In der Zeit dieser belasteten Beziehung erleidet sie während der dritten Schwangerschaft<br />

einen epileptischen Anfall. Seitdem ist ihre Ges<strong>und</strong>heit angeschlagen, sie muss regelmäßig Medikamente einnehmen <strong>und</strong> darf<br />

sich eigentlich keinen Stress zumuten. Der Vater des dritten Kindes droht ihr immer wieder, ihr eben dieses Kind aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

ges<strong>und</strong>heitlichen Probleme „wegzunehmen“.<br />

Frau Weiss lebt die meiste Zeit von der Sozialhilfe <strong>und</strong> macht mit dem Sozialamt die Erfahrung, dass es viel Druck ausübt <strong>und</strong> ihr nicht<br />

all die finanzielle Unterstützung gewährt, auf die sie einen Anspruch hat. Immer wieder verdient sie sich in prekären Arbeitsverhältnissen<br />

Geld dazu. Sie lebt in einer kleinen ländlichen Gemeinde, in dem es untypisch ist, allein erziehend zu sein, <strong>und</strong> in der es <strong>für</strong> sie<br />

deshalb schwierig ist, soziale Kontakte aufzubauen.<br />

Frau Weiss beschreibt sich selbst als eine Person, die immer wieder versucht, ihr Leben alleine „in den Griff zu kriegen“. Als sie sich<br />

an einem Punkt sieht, an dem dies nicht mehr gelingen mag, wendet sie sich an das Jugendamt, zu dem sie seit der Scheidung von ihrem<br />

ersten Mann regelmäßigen Kontakt hat: „Der Kontakt kam durch die erste Ehe, wo die Scheidung gelaufen ist wegen dem Besuchsrecht<br />

<strong>und</strong> das alles. (…) Da hat man Gespräche geführt … Und so sind wir halt immer weiterhin verblieben, wenn ich halt doch mal Schwierigkeiten<br />

hab <strong>und</strong> so, dass sie immer hinter mir stehen <strong>und</strong> wenn was ist, helfen (…) Und sie [die Jugendamtsmitarbeiterin] hat auch<br />

immer wieder angerufen: Frau Weiss, brauchen Sie Hilfe, geht´s noch? Und ich: Ja es geht noch. Also bis ich wirklich gesagt hab, dass<br />

es echt nicht mehr gegangen ist.“<br />

Das Jugendamt berät sie dahingehend, eine Familienhilfe des Mobilen Dienstes der örtlichen Jugendhilfestation in Anspruch zu nehmen.<br />

Allerdings hat in dem dortigen Team momentan nur der männliche Mitarbeiter Kapazitäten zur Betreuung eines weiteren Falls, was<br />

Frau Weiss, die sich eigentlich eine Betreuerin wünscht, zögern lässt. Nachdem sie jedoch die Zusage des Jugendamtes bekommt, dass<br />

sie später immer noch auf eine frei werdende Mitarbeiterin „umwechseln“ könnte, <strong>und</strong> angesichts der ungewissen Wartezeit, lässt sie<br />

sich auf den männlichen Mitarbeiter ein.<br />

Dieser kommt von da an regelmäßig in die Familie <strong>und</strong> unterstützt Frau Weiss – wie sie es beschreibt – „überall“: „Also ich muss sagen,<br />

er unterstützt mich überall (…) er hat gesagt, (…) er macht alles miteinander. Da, wo ich Probleme hab, wird geredet, <strong>und</strong> dann guck<br />

man auch, wie man es hinkriegen kann“. In den regelmäßig halbjährlich stattfinden Hilfeplangesprächen bilanzieren Frau Weiss, der<br />

Betreuer <strong>und</strong> die Jugendamtsmitarbeiterin das bisher Erreichte <strong>und</strong> treffen Absprachen, wie es das nächste halbe Jahr weitergehen soll:<br />

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